■ Vorschlag: Geht ans Herz: „The Accordion Tribe & Medicine Man Tour“ im Podewil
Akkordeon! – Leutseligkeit? – Am Ende weit gefehlt. Zwar hat neben der Geige wahrscheinlich kein anderes Instrument eine solche Ausbreitung in „weiß“ bevölkerten Ländern und Kontinenten erfahren wie die Quetsche, doch daß sich Fingerakrobaten schon seit Jahren virtuos auf Tasten und Knöpfe werfen, um mit den Akkordeonklischees aufzuräumen, ist bekannt. Fünf von ihnen haben sich jetzt zusammengetan, um als „Akkordeon-Stamm“ auf Tour zu gehen.
Oberzauberer dieser Truppe ist der Amerikaner slowenischer Herkunft Guy Klucevsek. Ihm ist alles zuzutrauen: Musik rückwärts, vorwärts, auf dem Kopf stehend, mal die Baßtaste als Melodie, mal umgekehrt. Bekannt geworden ist er mit seiner Raserei durch die Vielfalt der neu improvisierten Ethno-Polkas. Wer seine Musik hört, weiß, woher er kommt, nicht aber, wo sein Ziel ist, denn er hat auch mit Laurie Anderson, John Zorn und vielen anderen zusammengearbeitet. Bei Klucevsek verschmelzen „Zitronen und Liebe“ (CD-Titel).
Als einzige Frau wird die Finnin Maria Kalaniemi zum Stamm gehören. Melodiebetont stöbert sie im Fundus sowohl der Folklore als auch der zeitgenössischen Musik. Was sie dabei aus dem Staub aufliest, geht – traurig oder fröhlich – ans Herz. Ebenfalls dabei: der Schwede Lars Hollmer und der Slowene Bratko Bibic. Beide gehen in einer Leidenschaft für Erratik und Stakkato, aber auch in träumerischem Schwelgen auf und klingen doch ganz unterschiedlich. Der eine verwurzelt in wilder Tradition, der andere nähert sich dem musikalischen Cyberspace. Verinnerlichung dagegen ist das anziehende Stichwort für die Musik des Österreichers Otto Lechner. Von ihm kommt keine Tanzmusik, er entwirft eher abstrakte musikalische Landschaften und zwischenmenschliche Interieurs. Akkordeon begann er als Kind von sich aus zu spielen, mit 15 erblindete er.
Wie der Stamm zusammenklingt, welche Rituale sie haben, welche Sprache – innerhalb der und durch die Musik – sie zusammen sprechen, welchen schlechten Zauber sie von uns nehmen? Keine Ahnung! Nichts ist bisher bekannt, außer ihrer ureigensten Individualität. Waltraud Schwab
Am Montag, 27. 5., um 20 Uhr im Podewil, Klosterstraße 68/70
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