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■ VorschlagZwei Klassen bösartiger als „Pulp Fiction“: Kitano Takeshis „Sonatine“ im Eiszeit-Kino

Die Exposition von „Sonatine“ ist beherrscht von reservierten, höflichen Männern, gut gekleidet und zurückhaltend, die urplötzlich anderen reservierten, höflichen Männern auf dem Klo die Nasen blutig schlagen oder Restaurantbetreiber im Hafenbecken ersäufen. Kitano Takeshi stilisiert seine Yakuza (Mafiosi auf japanisch) zu Gegenstücken von Jean-Pierre Melvilles eiskalten Engeln. Nur daß diese hier durch ihre runden, freundlichen Gesichter eher eiskalte nette Onkels werden.

Der Filmemacher selbst spielt den Gangster Murakawa, der einen prosperierenden Bezirk Tokios beherrscht, als einen frühen, ebenso durchtriebenen wie hitzköpfigen James Cagney. Der große Oberboß befiehlt ihn nach Okinawa, wo er und seine Killer einer befreundeten Organisation zur Hilfe kommen sollen, aber die Dinge laufen aus dem Ruder.

Man ist verraten worden, und die Reste der Gruppe flüchten sich in eine Datsche ans Meer und aus dem Betriebsunfall wird ein Betriebsausflug, aus dem kühlen Gangsterepos plötzlich ein ruhiges, teilweise klamaukiges Ferienabenteuer. Die Bösewichter blödeln am Strand in der Sonne, ziehen sich bunte Hemden an, retten vergewaltigte Mädchen und haben auch sonst viel Spaß. Aus den Maschinen des organisierten Verbrechens werden Menschen mit Frisbeescheiben. Freundschaften bahnen sich an, Liebe gar. Aber natürlich kann die Idylle nicht so bleiben, wie sie ist, weil da noch die Rache ist, und die wird fürchterlich sein.

„Sonatine“ hält geradezu unglaublich sicher die Balance zwischen der Reminiszenz an die großen Tage des Gangsterfilms und der Auflösung der eigenen Genreregeln. Zum einen wirkt die zynische Grundhaltung der Protagonisten keinen Moment lächerlich, zum anderen stehen sie bei Schießereien stocksteif als Karikaturen ihrer selbst, und wenn sich die Soldaten gegenseitig abstechen, verdrehen die Bosse indigniert die Augen.

Doch die kleinen Witzeleien lenken nur kurzzeitig davon ab, daß „Sonatine“ noch mal zwei Klassen bösartiger ist als „Pulp Fiction“, daß die Grundhaltung purer Zynismus ist. Wo sonst im Gangsterfilm kurz und rationell getötet wird, weil Tote nun mal anfallen, wenn man Geschäfte macht, geht es hier auch um den Spaß, die Lust an der Macht und an den Qualen, nicht nur um die Qual an der Macht wie in „Der Pate“. Und der Reiz am Bösen, der wird sowieso vorausgesetzt. Als Murakawa zum letzten Gefecht aufbricht, fragt ihn das Mädchen, das er gerettet hat: „Darf ich auch mal schießen?“ Und lächelnd reicht er ihr das MG. Thomas Winkler

„Sonatine“, Regie: Kitano Takeshi, mit: Takeshi, Kokumai Aya, Watanabe Tetsu, Katsumura Masanobu u.a., OmU, Japan 1993, 94 Min., ab heute im Eiszeit-Kino, Zeughofstraße 20

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