■ Vorschlag: Musikalisches Pilzesammeln: Oof! und Zimt im Lomodepot
Der Begriff Lomographieren hat zwar noch keinen Eingang in den Duden gefunden, aber dennoch lohnt sich heute der Gang ins Lomodepot, denn die Berliner Bands Oof! und Zimt spielen dort zum Tanz auf. Genaugenommen kommen die einen aus Hamburg: Oof! flohen aus der wettergerbenden Hansestadt, um der Enge des Blumfeldschen Milieus zu entkommen. Ihre Texte klingen auch weniger nach Distelmeyer als nach Exzerpten aus Max Goldts „Kulturtagebuch“-Kolumne: Reflexionen in der Einzimmerwohnung (“Lege ich mich jetzt hin / oder mache ich etwas aus Holz?“) wechseln ab mit einer 1:1-Kartographie des eigenen Körpers samt Gerüchen. Die Kellerasseln unterm Teppich werden zu gleichrangigen Gesprächspartnern und der Ladendiebstahl im Spätverkauf nebenan gar zur erotischen Obsession. Auf die höfliche Nachfrage „Und was machst Du so?“ würden Oof! wohl mit Rahel Varnhagen antworten: „Nichts. Ich lasse das Leben auf mich regnen.“ Dabei befindet sich die Gruppe derzeit in der unlustigen Lage, zwar einen Majorvertrag zu haben, aber von der Plattenfirma intern schon wieder fallengelassen worden zu sein – wegen „Unkommerzialität“ (das wohl schönste Lob, das man einer Band machen kann).
Drei waschechte Kinder des Bezirks Mitte haben sich dagegen zu Zimt zusammengefunden. Das kräfteraubende Ringen nach Worten umgehen sie, indem sie auf Gesang fast ganz verzichten. Titel wie „Nachbarn sind keine Freunde“ bergen Wahrheiten, die höchstens noch durch eingespieltes Hundegebell präzisiert werden müssen. Der Gitarrist soll ein leidenschaftlicher Pilzsammler sein, und tatsächlich klingt es, als würden die Melodiestränge wie Pilze aus dem Moosboden eines Gitarrenriffs gepflückt. Nach sorgsamer Prüfung wird etwa Butterpilz von Dungröhrling getrennt. Hier sprechen die innere Sehnsucht des Stadtbewohners nach einer Landkommune und der wohl unerfüllbare Wunsch, die eigene bürgerliche Existenz (Studium) gegen ein Boheme-Leben im Tourbus einzutauschen. Über die Fotos im Lomodepot mag einst die Nachwelt richten, doch bei der Musik ist der mitfühlende Zeitgenosse gefragt. Noäl Rademacher
Heute, 22 Uhr, Lomodepot, Oranienburger Ecke Tucholskystraße
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