■ Vorschlag: Evelyn Künneke, Helen Vita und Brigitte Mira: "Drei alte Schachteln in der Bar" (jeder Vernunft)
Zusammen genommen sind sie so um die 230 Jahre alt und nennen sich schnippisch „Die drei alten Schachteln“. So sitzen sie auf der kleinen Bühne der Bar jeder Vernunft, ziemlich herausgeputzt, und zeigen zweieinhalb Stunden lang, daß ein schwindender Stimmumfang, dritte Zähne, ergraute Haare und andere kleinere körperliche Zeiterscheinungen noch lange kein Grund sein müssen, der Bühne Adieu zu sagen.
Die UFA-Schlagersängerin Evelyn Künneke darf mit ihrem unvermeidlichen „Sing, Nachtigall, sing“ beginnen. Brav absolviert sie ein Medley aus Hits, die sie schon seit 50 Jahren immer wieder aufbieten muß. Helen Vita hat immer noch diese nette Quiekestimme einer Göre, wenn sie etwas Komisches aus der Feder von Hollaender oder Tucholsky vorträgt. Dann aber droht sie mit Brecht („Damit muß ich Sie jetzt belästigen“) und hat doch binnen einer Sekunde dank ihrer fesselnden Bühnenpräsenz den ganzen Saal im Griff für eine klassische, ganz und gar nicht veralberte „Ballade von der sexuellen Hörigkeit“. Da muß nicht immer jeder Ton sitzen, und beim Terzett darf auch mal der Einsatz verpaßt werden – diese Damen mögen zwar alte Schachteln sein, aber sie vermitteln in dieser ersten gemeinsamen Bühnenarbeit durchaus mehr als liebenswerten Charme.
Besonders Brigitte Mira, von den „Drei Damen vom Grill“ bis zum alljährlichen „Jedermann“ in der Gedächtniskirche von Kopf bis Fuß auf Vorzeige-Berlinerin abonniert, gibt diesem ganz und gar kurzweiligen Abend (Regie: Lutz Deisinger) viel Farbe und Selbstironie. Da kämpft sie sich mit ihrer kieksenden Soubrettenstimme tapfer durch Franz Lehárs „Vilja-Lied“, immer wieder mal nach Luft schnappend und sich selbst und den dämlichen Text kommentierend: Daß solch ein Wort wie „seufzt“, ausgesprochen von einem Mund, den Jacketkronen füllen, eine Katastrophe für Besucher in der ersten Reihe bedeutet und daß die alte Operettenschule eine Sängerin unweigerlich in ziemlich alberne choreographische Verrenkungen gleiten läßt.
So singen sich „Die Golden Girls der Diseusenwelt“, begleitet von Harry Ermer und Frank Golischewski an zwei Flügeln, durch Altbekanntes und Wiederaufgefundenes, Kokettes von Günther Neumann und Klassiker wie „Die zersägte Dame“ und schaffen es doch, den Abend nicht zu einem peinlichen Nostalgieabend incl. Kaffeegedeck werden zu lassen. Sie plaudern von alten Zeiten, aus ihren Karrieren, fahren Anekdötchen auf und spielen so ein bißchen oral history für Film-, Kabarett- und Kleinkunstfreunde vor. Wenn auch ohne wirklichen roten Faden und durchgehende Dramaturgie: Der Abend hinterläßt einen ziemlich beschwingten Eindruck. Axel Schock
Noch bis 6. Oktober, täglich außer Montag jeweils um 20.30 Uhr, Bar jeder Vernunft, Schaperstraße 24, Wilmersdorf
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