■ Vorschlag: Kopffüßler und Aufrechtgänger bei der Gruppe ex machinis
„Heute ein Multimedia-Künstler zu werden, ist ein Alptraum“, meinte Laurie Anderson neulich bei ihrem Besuch in Berlin. Dabei hatte sie vor allem die unzähligen Computerhandbücher vor Augen, die man studieren müsse, um die entsprechende Hard- und Software bedienen zu können. Aber es bedarf nicht unbedingt der Verzweiflung über den Terror immer neuer Updates, um zum Einsatz einfacher Mittel zurückzukehren. Manchmal reicht es schon, wenig Geld zu haben. Dann wird Multimedia zu einer Frage der richtigen Leute.
Zum Beispiel die Gruppe „ex machinis“. Im Zentrum der experimentellen Performance „La Reine, c'est Moi“ stehen zwei Frauenfiguren, deren Gestalt sich vom weißen Rauschen eines Fernsehmonitors über ein klar erkennbares Bild zum dreidimensionalen Körper langsam herausbildet: zwei widerstreitende, komplementäre Bewegungsformen, die sich gegenseitig den begrenzten Raum eines Zimmers, klar und kühl wie aus einem Gemälde von Edward Hopper, streitig machen. Von weitem an Oskar Schlemmers Figurinen erinnernd, stecken sie in bizarren Kostümen von Steffi Weismann (außerdem auch verantwortlich für Bühne und Regie).
Diese Körperhüllen sind alles andere als eine simple Verkleidung, sondern Form und Inhalt der Darstellung zugleich. Barbara Loreck (Neonie) steckt in einem schrillgrünen Kleid, das ihren Körper völlig auf den Kopf stellt. Da, wo man die Schultern vermutet, befindet sich der Hintern, wo die Arme wären, strampelt ein Paar rotbestrumpfter Beine und wo die „echten“ Arme sein müssen, räkeln sich zwei weitere Frauenbeine. Der Kopf der Performerin ist unter einem weiten Rock verborgen, zwischen ihren Beinen sitzt ein Puppenkopf. Oben und unten, Kopf und Geschlecht, Mann und Frau — hier ist alles eine Frage der De- und Rekonstruktion.
Die zweite, hochaufgeschossene Figur (Stefan Vens) hat hingegen ein starres, an der Vertikale ausgerichtetes Bewegungsrepertoire. Diejenige, die nicht richtig auf die Beine kommt, obwohl sie vier hat, erweist sich schließlich als überlegen, weil sie die Fähigkeit der anderen, den aufrechten Gang, in ihre eigene Körperkonstruktion integrieren kann. Dieses groteske, sich völlig im Imaginären bewegende Theater, öffnet am Schluß seinen Blick in die reale Außenwelt, dargestellt im Film, in der sich die beiden Figuren prompt verflüchtigen. Kathrin Tiedemann
Heute und morgen, 21. und 22. 9., 20.30 Uhr, im Kunsthaus
KULE, Auguststraße 10, Berlin Mitte, Karten unter
Tel. 4476291
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