■ Vorschlag: Heinz-Rudolf Kunze und die Mountain Goats im Roten Salon
Es ist Wochenende, und auch die working class kann ausgelassen um die Häuser gehen. Doch eine Stunde nach Mitternacht ist selbst für ein Konzert im Roten Salon eine ungewöhnliche Zeit. Die Mountain Goats müssen dort nämlich Heinz-Rudolf Kunze den Vortritt lassen, der ein paar Schwänke aus seinem Notebook zum besten gibt. Obwohl Kunze Angst vor ausländischem „Schund“ hat, schätzt er anspruchsvolle, „menschliche“ und handgemachte Musik, und da gehen die amerikanischen Mountain Goats okay mit ihm.
Diese sind weniger eine Band als das Namensvehikel einer einzelnen Person. Das von John Darnielle, einem Collegestudenten, der seit 1991 – in wechselnden Besetzungen und allein – den Zustand der Welt, wie er ihn kennt, in bescheidenster Aufnahmequalität auf Tonträger bannt: bevorzugt auf Kassetten und Vinylscheiben, nur ungern auf CD. Eine Zeitlang firmierte so was unter der marktgerechten Bezeichnung Low-Fi-Recording. Dies allerdings war bei den Mountain Goats – wie bei vielen anderen – auch einem Mangel an Aufnahme- und Produktionsmitteln geschuldet. Immerhin hatte dieser kleine Hype ihre Entdeckung zur Folge. Man konnte sie 1994 erstmals live auf dem niederländischen Hometaper-Treffen „Fast Forward“ erleben, und auch „Zopilote Machine“, ihr erstes „richtiges“ Album, war in manch einheimischer Mail-order erhältlich.
Daß Low-Fi dann als Trend in den Auslaufrillen der Medien steckenblieb, hat Darnielle kaum berührt. Unermüdlich produziert er seine harschen, sich jedwedem Raster entziehenden Folksongs. Auf gleich zwei kürzlich erschienenen Longplayern kämpft Darnielle wie gewohnt mit seiner akustischen Gitarre, deren Saiten er hart und unerbittlich bearbeitet. Ein feinausgearbeites Songwriting ist da nicht unbedingt der Stein der Weisen, denn zu straight kommen die Songs um die Ecke, zu roh und mit allzu kippeliger, quengelnder Stimme werden sie vorgetragen. Das klingt seltsam und fremd und wie aus einer anderen Welt – ich sage nur Bahner und Kohlenschaufler, Jäger und Sammler –, enthält jedoch eine eigenartig zerklüftete Schönheit, und für diese darf man sich ruhig in so manche Bresche werfen. Gerrit Bartels
Heute, ab 1 Uhr, Roter Salon, Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz
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