■ Vorschlag: Grantiger Herr Karl: Der Erzähler Bohumil Hrabal im Colloquium
Man täuscht sich in dem Mann. Er zitiert Novalis, Schopenhauer und diverse chinesische Weisheiten, ist der Verfasser feinsinniger Schelmen- und „Mädchenromane“. Als Erzähler, Sprachspieler und poetischer Autobiograph seiner Epoche gehört er zu den unverwechselbarsten Erscheinungen der europäischen Literatur.
Wenn aber Bohumil Hrabal ein Podium betritt – selten genug geschieht das –, so sieht man da ein altes, kahlköpfiges Bäuerlein vor sich. Der grantige Herr mit den strengen Mundfalten wirkt tatsächlich wie ein böhmischer Herr Karl. Die Exemplare seiner Erzählbände und Romane, die man ihm zum Signieren vorlegt, pfeffert er nach getaner Arbeit ungeduldig in die letzte Ecke. Seine Unterschrift wird dabei immer weniger; zwei Kreuze und ein Schlenker, das genügt. Der 1914 in Brünn Geborene veröffentlicht seit seinem 48. Lebensjahr ein Büchlein nach dem anderen, eine Art privates Laster. Die irrlichternde Prosa Hrabals ist mitunter wohl gar nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Sie ist eher Teil eines beständigen und intimen Selbstgesprächs: „Als nähme ich nicht nur mir, sondern der ganzen Welt die Beichte ab“, so hat Hrabal einmal seine Arbeit beschrieben. Zu seinen immer wiederkehrenden Themen gehören das Befremden über die eigene Person, die Untaten und Abseitigkeiten des eigenen Handelns.
Nun ist das alles eben doch nur Schein. Der Autor, der bis 1962 in verschiedensten Berufen, als Notariatsangestellter, Zugabfertiger, Versicherungsagent, Kulissenschieber, gearbeitet hat, schrieb bereits seit Mitte der fünfziger Jahre für die Schublade. Schon 1966 war er aber auch im Westen ein bekannter Mann: durch Helmut Qualtingers Schallplattenlesung der „Tanzstunden für Erwachsene und Fortgeschrittene“ (1966). Hrabal war es gegeben, im Jahr 1968 (dem Jahr des Prager Frühlings) in seiner Heimat sowohl mit dem Tschechoslowakischen Staatspreis für Literatur ausgezeichnet als auch durch ein (acht Jahre andauerndes) Publikationsverbot nachhaltig unterdrückt und zensiert zu werden. Bis Anfang der achtziger Jahre erschienen auch in Deutschland zahlreiche Erzählbände. Der Übersetzung seiner dreibändigen Autobiographie folgte 1988 der bisher größte, wenn auch verspätete Erfolg: „Ich habe den englischen König bedient“ (1971).
Diese Geschichte eines Hotel-Pikkolos, der die Kunst des Servierens erlernen soll, ist ein kurioses Meisterwerk über die Kunst, Millionär zu werden. Wenn je ein Autor von sich den Eindruck eines Naturtalents erweckte, so ist es Hrabal. Aber über ein eisern erlerntes Handwerk, auch über beständige Reflexionen, den Leser betreffend, täuscht das alles nicht hinweg. Zu den aufgestellten Fallen gehört die Leichtigkeit der Welt, in die der Autor seine Leser zieht. Auch das Versteckspiel mit dem Leser gehört dazu, die kunstvolle Form scheinbarer Unfertigkeit und Unbehauenheit, die Grobzeichnung und die Flächigkeit, die zu den Kennzeichen seines Werkes zählen. Kai Luehrs
Lesung: Bohumil Hrabal heute abend im Literarischen Colloquium am Sandwerder 5
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