■ Vorschlag: Urvater der Minimalisten - Terry Riley im Hamburger Bahnhof
Terry Riley war schon immer ein Mann der ersten Stunde. Hätte er den minimalistischen Ohrwurm „In C“ ein paar Jahre später geschrieben – der kalifornische Musiker wäre nur eine Randfigur der Musikgeschichte geblieben. So aber wurde das Werk (dessen unverdrossen repitierende Patterns bei ungeduldigeren Hörern eine gewisse Überempfindlichkeit gegen die Tonart C-Dur hervorrufen) 1964 zum Gründerstück der gesamten Minimalistentradition.
Zusammen mit dem italienischen Kontrabassisten Stefano Scodanibbio weiht er heute den Hamburger Bahnhof nun auch musikalisch ein. Es ist der Auftakt für eine längerfristig geplante Zusammenarbeit des Museums mit den „Freunden guter Musik“. Wenn Riley sein Keyboard auf die Obertöne des Kontrabasses einstimmt und der italienische Klangfarbenvirtuose seinem Bass ferne Klänge entlockt, dann wird der nüchterne Hamburger Bahnhof an andere, exotisch angehauchte Zeiten erinnern.
Bereits in den Siebzigern, während sich die Minimal Music zu einer eigenständigen Musikrichtung ausdifferenzierte, wandte sich Riley anderen Musikformen zu. Inspiriert von javanischer und indischer Musik, war Riley beseelt von dem Glauben, daß er sich in seinen meditativ angehauchten, größtenteils improvisatorischen Stücken „als Kanal für höhere Energien“ zur Verfügung stellen könnte. Mit Tape-delay, Raga-Gesang und allen nur erdenklichen Instrumenten gleichzeitig experimentierend, war Riley seine eigene One- man-Bigband, Stücke wie „A Rainbow in Curved Air“ lagen in ihrer Mischung aus New-Age-Geklingel und naiv-utopischer Programmatik voll im Trend. In den Achtzigern entstanden vor allem die Stücke für das Kronos-Quartett, dahinfließende Musik, die mit erschöpfender Ausdauer spirituelle Gelassenheit verströmte. Den Zeitgenossen der Neunziger, die weder mit fernöstlicher Philosophie noch mit „höherer Energie“ aller Art liebäugeln, sei die Session im Hamburger Bahnhof dennoch empfohlen, sei es auch nur, um in Terry Riley ein Stück personifizierte Musikgeschichte Amerikas noch einmal hörend und sehend zu erleben. Christine Hohmeyer
Terry Riley und Stefano Scodanibbio spielen um 20.30 Uhr im Hamburger Bahnhof, Invalidenstraße, Moabit
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