■ Vorschlag: Weibliches Verschwinden
Marlene Streeruwitz Foto: Nelly Rau-Häring
„Der Fotograf machte Aufnahmen vom Rücken der jungen Frau. Er gab wieder Anweisungen, einen Scheinwerfer zurechtzurücken. Die junge Frau ließ die Arme fallen. Sie mache nicht mehr weiter. Wie spät es sei. Es waren erst 25 Minuten, sagte der Fotograf, sie solle sich nicht so anstellen. Eine Stunde könne man das aushalten. Mit der Farbe auf der Haut.“ Die Szene stammt aus dem im letzten Jahr erschienenen Roman „Verführungen“ von Marlene Streeruwitz: Im Mittelpunkt stehen ein Model und sein Fotograf, ein passiver weiblicher Körper und der aktive männliche Blick, der ihn inszeniert. Auslöschung und weibliche Verweigerung in einem, denn Karin, das Model, „sah böse vor sich hin“ und verschwand.
Kann es angesichts der medialen Überfrachtung mit Bildern des Weiblichen überhaupt noch Vorstellungen eines authentisch „weiblichen“ Körpers geben? Oder muß die Strategie nicht vielmehr in der Negation liegen, im selbstbewußten oder auch pathologischen „Verschwinden“, wie es sich in der weiblichen Magersucht zeigt? Wie man den „verschwindenden Körper schreibt“, darüber wird sich die österreichische Autorin Marlene Streeruwitz mit der in Zürich lehrenden Literaturwissenschaftlerin Sigrid Weigel am 12. Mai in der Literaturwerkstatt unterhalten. Das Gespräch bildet den Auftakt zu einer Lesungsreihe, die Autorinnen und Wissenschaftlerinnen aus West- und Osteuropa, Afrika und den arabischen Ländern zusammenführt zu einem feministisch-literarischen Dialog über Körperbilder und Körperverhältnisse in einer Welt, in der unmittelbare Körpererfahrungen obsolet geworden sind.
Doch gleichgültig, ob es sich um die prekäre Körperschwelle zum Tod handelt, worüber sich die polnische Germanistin Bozena Choluj mit der armenischen Autorin Noune Barsegian auseinandersetzen wird; ob um die Folgen der Reproduktionstechnologie, die Gerburg Treusch-Dieter (Berlin) und Sara Mailand (GB) in den Mittelpunkt rücken, oder um Bürgerkriegsstrategien, die Frauen wie im ehemaligen Jugoslawien oder im Nahen Osten von vornherein als Vergewaltigungsobjekte mit einkalkulieren (Zarah Papic und Emily Nasrallah): Die tatsächliche oder symbolische Vernichtung des Frauenkörpers entlastet nicht von der Frage, ob es sich Frauen leisten können, auf eigene Körperbilder und -entwürfe zu verzichten, wie es im Veranstaltungskonzept von Ulrike Stamm heißt. Ulrike Baureithel
Ausführliches Programm der vom 12. bis 16. Mai laufenden Reihe über Literaturwerkstatt (Majakowskiring 46/48, Tel. 485245-0)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen