■ Vorschlag: Die Rave-O-Lution füttert ihre Kinder - im Matrix
Vorschlag
Die Rave-O-Lution füttert ihre Kinder – im Matrix
Dai Sato, Chef von Frogman Records/Tokio, staunte nicht schlecht, als plötzlich dieser Typ in seinem Studio stand, Japans erster Adresse in Sachen Techno, und etwas schüchtern, aber höflich anfragte, ob der DJ und Producer ihm nicht mal so richtig typischen Techno vorspielen könne. Und ein wenig TripHop, Tech-Step, Drum'n'Bass, Trance, Hardfloor, House, Garage und wie das alles so heißt gleich mit.
Er arbeite an einem neuen Spiel für junge Leute, erklärte er, einem Spiel für die Sony Play Station, das ohne Blut, Autos oder schorfige Aliens auskommen werde. Viel schöne Musik, verträumte Landschaften und ein Delphin sollen die Helden sein, und der Spieler werde nicht nur diesen Delphin, sondern auch die Musik selbst steuern. Ein Spiel zum Musizieren also, ein Spiel für den Chill-out. Mit leuchtenden Farbfeldern, Kaleidoskopwirbeln und anmutigen Röhrenblumen, die bunte Luftblasen rülpsen.
Dai Sato muß eine amtliche Auswahl getroffen haben. Seit Erscheinen im Herbst 1996 ist „Depth – the music adventure game“ zum gefragtesten Live-Instrument unter Japans Techno-Clubbern geworden. „Depth bietet coolstes Material, fette Bassdrums, detroitmäßige Percussions und Bässe von Acid bis Subsonar“, schwärmt Mijk van Dijk, Techno-Musiker, DJ und passionierter Japantourist, „die Melodie Patterns decken den kompletten Bereich von Jeff-Mills-Minimalismus bis Trance-Ohrwurm ab. Am Samstag wird der Berliner DJ und leidenschaftliche Gameboy mit seinem Live-Act beweisen, daß auch mit neuen Produktionsmitteln es erst einmal die Experten sind, die Traditionen in Richtung Innovation biegen.
Optisch bietet das 32-Bit-Adventure sympathisch animierte Welten, Schnittmengen ästhetischer Repertoires der 3D-Techno/Trance-Videos der späten Achtziger/frühen Neunziger (X-Mix-3, Frankfurter Schule etc.) Doch das musikalische Innenleben des Games verknüpft Tausende von Sounds und Samples zu einer styleübergreifenden, harmoniesicheren Reise durch die Welten des Technohouse der letzten zehn Jahre – bequem per Flossenschlag und Fingerdruck.
Und wie jedes gute Game besitzt auch Depth Zugänge in die Eingeweide; sogenannte Cheats, Abkürzungen – Testspieler springen mit Hilfe geheimer Tastenkombinationen durch alle Programmierebenen und Spielstufen. Mittlerweile sind diese Cheats kalkulierbare Faktoren im Wettlauf der Spielehersteller um Kultstatus geworden: Schnittige Raumschiffe verwandeln sich in rosa Schweine, und statt der schlappen Uzi holt man sich eben einen Napalmwerfer oder Unverwundbarkeit. Das Internet ist voll solcher Tips und Kniffe.
Der Master Cheat für Depth jedoch (Down-Up-Right-Left + Square) macht aus dem harmlosen Chill-out-Vergnügen mit Delphin ein Allroundinstrument inklusive Lightshow ab Werk. Und dessen Musik klingt verdächtig nach Zukunft. Im Herzen des Delphins schlägt nämlich ein leistungsstarker 8-Spur-Sequenzer, der über 1.800 vorproduzierte Sounds zur freien Modulation anbietet. Das mag für Laien schnöde klingen, bedeutet im Klartext jedoch: Die Geburt der ersten kompletten Drag'n'Drop-Bands steht uns bevor. In Japans Clubs jammen sie bereits. Und tanzen dazu. Gestaltgewordener Das-kann-doch-jeder-Fluch oder Wunderwaffe, die endlich den Weg in die Anarchie der Produktionsmittel freisprengt? Ralf Grauel
Samstag im Matrix, Play-Station-Live-Act mit Mijk van Dijk (inklusive Videobeamer), anschließend oldschoolmäßiges Plattenauflegen. Support: DJ Marco, Warschauer Straße 18, Friedrichshain
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