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■ VorschlagNeues aus der Hühnerfarm: "Daily Chicken" von Lilly Grote

Vorschlag

Neues aus der Hühnerfarm: „Daily Chicken“ von Lilly Grote

Ida von Recklinghausen (links) und Zwillingsschwester Luise als Marie und Maja in Daily Chicken Foto: Verleih

Das Moor gehört eher zum Standard englischer Gothic stories als zu einer Mädchengeschichte im Flachland vor Hamburg. In Lilly Grotes neuem Film ist es aber ein Kontrastmittel zum sprunghaften Charakter der Hauptdarstellerinnen und ein Hinweis auf die dynamisch zunehmende Morbidität des Settings. Die Zwillingsschwestern Maja und Marie (Luise und Ida von Recklinghausen) leben in einem dörflichen Flecken, wo alles vom Huhn abhängt, ökonomisch und gesellschaftlich. Die Dorfkneipe heißt darum folgerichtig „Daily Chicken“, die Bewohner malochen am Hühnerfließband und ernähren sich von einer Broilerdiät. Sogar die Katzen werden mit kleinen gelben Küken gefüttert.

Wäre das alles weniger schlicht und mit etwas Ironie in Szene gesetzt, käme vielleicht ein komisches Landleben à la Detlev Buck zustande. So bleibt die Drastik auf halber Strecke stecken und erreicht dokumentarische Höhen nur in den Aufnahmen (Kamera: Elfi Mikesch) aus der Hühnerfabrik. Reihenweise ziehen geköpfte Hautsäcke, die an prähistorische Reptilien erinnern, vorbei. Man sieht Blutlachen, Wasserschläuche, abgehackte Krallen und ein paar Männer in Gummistiefeln, die mit einem Kadaver Fußball spielen. Dazu gackern die Kolleginnen wie die Hühner.

Dann passiert ein Unfall. Die Mutter der 16jährigen Mädchen (leider allzufrüh weg von der Bildfläche: Angela Schanelec) liegt fortan im Koma. Die Dachkammer der Mutti wird zu einem Erinnerungsschrein. Nichts darf verrückt werden, Kerzen werden angezündet, die Schwestern legen einen geheimen Schwur ab. Da paßt es gut, daß Marie Lurche züchtet und im Keller fleischfressende Pflanzen füttert, denn jetzt breitet sich im ganzen Haus Aquariumsatmosphäre aus. Schimmlige Apfelsinen kullern über die Dielen, Kakerlaken klettern auf dem Spiegelei herum. Trotzdem wirken die Mädchen eher wie Besucherinnen in ihrem häuslichen Panoptikum.

Vorbei ist es mit den Plänen, in die Stadt umzuziehen. Maja, die Extrovertiertere und Üppigere der beiden, führt weiter ein Videotagebuch. Verwackelte Schnipsel von Haus, Garten, Umzugskisten. Und endlich ist auch wieder das Moor im Bild, wohltuende Konstante neben der Geschichte, die manche Anschlußlücken aufzuweisen hat, erst nach der Hälfte so recht in Schwung kommt und in ihrer Naivität unentschlossen bleibt. Eine Studie, irgendwo zwischen Wienerwald-Erlebnispark und Mädchenmelancholie. Gudrun Holz

„Daily Chicken“, Sputnik Südstern, Hasenheide 54, Kreuzberg

Nachschlag

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