■ Vorschlag: Lucia Dellefants Bilder klappen um: Fotomontagen der ganz anderen Art
Der erste malt den Kopf und klappt den Zettel um. Der zweite macht sich an den Hals, und der dritte zeichnet den Rumpf. Erst wenn man den Zettel auseinanderfaltet, sehen alle die Figur, die entstanden ist: ein Hermaphrodit vielleicht, oben Frau und unten Mann, oder ein fadendünnes Kind mit dem Kopf eines alten, fetten Mannes. Die Surrealisten um André Breton liebten dieses Spiel. Man kann sich vorstellen, daß auch Lucia Dellefant ihre Abende damit zubringen könnte. Die Münchener Künstlerin macht Klappbilder. Derart montiert sie ihr Selbstporträt. Zu sehen ist die Künstlerin als kleines Kind. Das süße Mädchengesicht mit dem unscharfen Schmollmund läßt sich nach vorne wegklappen wie bei einem alten Altarbild. Nur ist diese Ikone geteilt: Kopf, Rumpf und Füße sind einzeln beweglich, ganz wie der Spieltrieb des Betrachters es will. Und hinter dem Schnappschuß der kleinen Lucia erscheint das wunderbar aseptisch lächelnde, vollbusige Idealbild ihrer Kindertage: eine Barbie-Puppe. Kinderträume, Rollenspiele, Vorbilder: sie sind bei den doppelbödigen Familienschnappschüssen, die Lucia Dellefant in der Galerie Schuster und Scheuermann zeigt, hinter der aufklappbaren Fassade versteckt. Identität ist aus Träumen und Bildern montiert, und sie ändert sich ständig. „Claudia“ ist eine hübsche und fröhliche junge Frau im Jeanskleid. Aber ihre Mitte verbirgt ein Geheimnis. Klappt man sie weg, kommen nackte männliche Lenden zum Vorschein, und die Bildrückseite zeigt die verschwommenen Konturen einer Brustwarze in einem Kranz von Haaren: Claudia war mal ein Mann.
Andere Klappbilder suchen Familienähnlichkeiten, setzen dem Großvater das Köpfchen des Urenkels auf oder kombinieren Mütter der 10er Jahre mit denen der 70er. Abziehbilder, auch im technischen Sinne: Bei Lucia Dellefants Frottagetechnik werden mit dem Farbkopierer vergrößerte Fotos wie beim Druck auf Gips übertragen. Das Bild, das entsteht, ist brüchig und durchscheinend, ist poppig bunt oder nostalgisch bräunlich und hat den beiläufigen Charme von Polaroids. Die Frage nach dem Körper-Bild, die Frage nach der Identität: Selten sieht man sie so heiter umgesetzt. Elke Buhr
Bis 30.8. Galerie Schuster & Scheuermann, Fasanenstraße/S-Bahn- Bogen 552, Charlottenburg
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