■ Vorschlag: Was wäre, wenn... – Philipp Mosetter im BKA
Kommen wir gleich zum theoretischen Teil. Erstens: Die Hoffnung wurde nur erfunden, damit die Enttäuschung Gesellschaft hat. Zweitens: Erfolg ist nichts als die Freude über hinausgeschobenes Scheitern. Das sind die Kernsätze Philipp Mosetters, des Erfinders des „monolithischen Theaters“. Einsichten, die den Wissenden eigentlich hoch über den kleinlichen Alltag heben könnten, sollten und müßten: Der Konjunktiv ist der Lieblingsmodus dieses Dozenten. „Was wäre, wenn...“ zieht er dem „Ist“ bei weitem vor. Und doch grinst die platte Wirklichkeit aus jeder Falte seines verknautschten Wollsakkos. Eigentlich will der Herr mit der Hornbrille über große Themen sprechen: „Sex, Gewalt und die Jahrtausendwende“. Aber immer wieder entgleitet ihm sein Vortrag, statt pessimistischer Philosophie kommt privates Unglück zur Sprache: Die Freundin ist weg, und die Selbstvorwürfe sind da.
„Der panische Ton – ein Operion unter Umständen“ lautet der mysteriöse Titel dieses Programms. Seit acht Jahren schreibt Philipp Mosetter, der an der Wiener Hochschule für angewandte Kunst das Fach Sprachgestaltung lehrt, absurde Dramen und Prosatexte. Miniaturen, die oft nur wenige Zeilen lang sind und sich mindestens mit Liebe, Tod und dem Sinn des Lebens befassen. Auch Gedichte sind dabei: „Jedoch die Frage: Was bleibt blaß“ rezitiert Mosetter und zuckt hilflos die Achseln. „Ich find's hübsch.“ Immer wieder flicht der unglückselige Dozent solche Texte in seinen Vortrag ein. Da sind zum Beispiel die „Tragischen Vorfälle“, die mit hoher Sprachkunst unappetitliche Verkehrsunfälle schildern: „Betrachten wir das Leid der Taube, die unversehens von einem vorbeifahrenden Taxi in den heißen Asphalt eines Sommertages tätowiert wurde...“ Während der Rezitation leuchtet tröstend die nackte Glühbirne, die neben einer Fliegenklatsche und einem nie benutzten Stuhl den einzigen Schmuck der Bühne darstellt.
Den eintönigen Redestrom unterbricht ab und zu ein hervorgebelltes „Ja?“, und nicht nur dann fühlt man sich in die Schule zurückversetzt. Nervös fingert er an seinen Papieren herum, legt Kante auf Kante, wie ein pedantischer Lehrer. Dann gewährt er exakt drei Minuten Pause – wer sich verspätet, wird scharf gerügt. An dieser autoritären, zutiefst verunsicherten Figur stimmt einfach alles. Das ist ein bißchen unheimlich und sehr lustig. Im tiefsten Kern ist Mosetters Komik aber romantische Ironie, sie lebt vom Widerspruch zwischen Ideal und Leben. Wenn alle großen Gedanken von Kleinigkeiten zerrieben werden, dann muß selbst die Philosophie des Scheiterns scheitern. Wie auch nicht, meint Mosetter: „Gelingen ist keine Kunst.“ Miriam Hoffmeyer
Bis 7.12. täglich 20 Uhr im BKA, Mehringdamm 32-34, Kreuzberg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen