piwik no script img

■ VorschlagMärchenstunde im Eiszeit Kino

Die Arbeit als Filmkritiker hat so ihre Tücken. Es flattern Einladungen ins Haus, oft nur mit englischen Filmtiteln. Die Zettel liest man quer durch und macht sich so seine Gedanken. So nahm ich an, die Grimm Brothers seien ein sicherlich berühmtes, mir aber gänzlich unbekanntes Independent-Regisseurduo. Und ihr Film „Snow White“ sei sicherlich irgendeine blutige Schneegeschichte, irgendwas wie „Fargo“. Immerhin mit Sigourney Weaver. Da ich die Pressevorführung leider verschlief, besorgte ich mir die Videokassette und überredete zwei Freunde, beide Alien-Fans, durch Nennung der Hauptdarstellerin zur gemeinsamen Filmschau: „Der Film ist so klasse, daß er keinen Verleih gefunden hat, obwohl er beim Fantasy- Filmfestival prämiert wurde.“

Und schon saßen wir vor den Bildern eines scheinbar mittelalterlichen Waldes, sahen eine hübsch ausgeleuchtete Pappburg, und dann taucht plötzlich S. Weaver auf und heiratet den verwitweten Burgherren, der die hübsche, etwas bläßliche Tochter Lilly sein eigen nennt. „Weaver ist die Stiefmutter, du hast uns zu einem Schneewittchen-Film eingeladen.“ Jetzt wurde mir auch schlagartig klar, wer diese verdammten Grimm Brothers waren. Kaum hatten wir unser kollektives Märchengedächtnis aktiviert, machte der Film einen Zeitsprung, und Lilly wird zum noch hübscheren Mittelalter-Teenager-Girlie. Stiefmutter Weaver alias Claudia, kommt derweil immer schlechter drauf. Nicht nur, weil sie immer öfter in den Schminkspiegel schaut, der manchmal recht häßlich zurückblickt. Wer die Schönste im Lande sei, wagt sie gar nicht zu fragen. „Wie alt ist die eigentlich?“ fragen die Alien-Fans und witzeln über die Aussichten auf „Schneewittchen 4 – Die Rückkehr“. Und schon hat Super-Weaver-Claudia eine Totgeburt. Das macht sie im Gesicht gleich noch älter, während ihr Spiegelbild computeranimiert die roten Hexenhaare schüttelt, auf die Nichtmutter einspricht und bedrohlich hübscher wird. Auf der Flucht vor Stiefmutters Rache gerät Lilly Schneewittchen im tiefen Wald in die Fänge von sieben finsteren Underdogs, die sie als Geisel nehmen und fast vergewaltigen. Das macht auch Weaver mit ihrem Mann, der später sogar gekreuzigt wird. Noch lange diskutierten wir, ob diese Literaturverfilmung wirklich adäquat mit ihrer Vorlage umgeht. Andreas Becker

„Grimm Brother's Snow White“, USA 1996, Regie: Michael Cohn, mit S. Weaver u.a. Eiszeit Kino, Zeughofstraße 20

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen