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■ VorschlagTextile Plastiken am Lebensfaden: Ursel Arndt in der Galerie 31

Auf dem Relief „Junge Frau“ ist ein fragmentarischer Körper zu sehen, ohne Kopf, nur bis zum Ansatz der Oberschenkel. Mal sind Teile schemenhaft angedeutet, mal stärker betont: schwungvoll die Hüften, sinnlich die Brüste, das Schamhaar.

Mit Nadel und Faden schafft Ursel Arndt ihre Arbeiten, plastische Silhouetten aus Wolle, Seide, manchmal auch Menschenhaar. Die 36jährige nennt sich selbst 3-D-Stickerin. Gelernt hat sie dieses seltene Handwerk drei Jahre lang bei der Textilkünstlerin Lissy Funk. Zuvor hat sie für verschiedene Off-Theater in Berlin als Kostüm- und Bühnenbildnerin gearbeitet und das Fach Bühnenkostüm an der HdK Berlin belegt. Jetzt ist sie den Menschen sozusagen auf die Pelle gerückt. Das größte Organ des Menschen, die Haut, ist seit sieben Jahren ihr Thema.

Eines der schönsten und zugleich frühen Werke ist die textile Plastik „Die Abenteuer deiner Haut“, eine Art Tastkonzert für Hände. Leider darf man die „Haut“ aber nicht berühren, obwohl man es gern möchte. Nicht ekligen Pickeln oder simplen Leberflecken war Ursel Arndt auf der Spur: „Wenn du mit der Hand über die Haut eines Menschen streichst, dann spürst du doch viel mehr, als du sehen kannst, die Muskeln, die Knochen, ihre Beschaffenheit, das Verborgene.“ Die Haut-Landschaften erzählen Geschichten.

Wie die „Wegweiserin“. Eine übergroße Vagina hat die Künstlerin aus Wolle und Haar (einmal ausnahmsweise) ganz naturalistisch gestickt. Ausstellungen in der Provinz brachten ihr wegen der nicht ausgesparten Darstellung weiblicher Genitalien den dummen Vorwurf der Pornographie ein. „Pornographie ist Mechanik, Erotik ist Kommunikation“, sagt die Textilkünstlerin. Sie löst den Anspruch ein: „Es gibt keine Tabus. Wage Eroberungen. Habe Spaß.“

Nach Spaß sieht die Plastik „Be friend“ eigentlich nicht aus. Ganz ohne Stützkonstruktion hängt die einzig vollständige Figur Ursel Arndts an Fäden in der Luft. An dieser Hülle einer Frau hat sie ein ganzes Jahr gearbeitet.

Aus der technischen Frage „Was gibt dem Gewebe Halt?“ wurde die persönliche: „Wer gab mir Halt?“ Die Plastik ist Antwort genug. Aber Freundschaft kann eben auch brüchig werden. Vergehen. So wie der Mensch und seine Hülle: „Das Mädchen“ wirkt klein und zerbrechlich, aus zwei Stöckchen als Beine, zwei Schuhen und dem Unterkörper bestehend. Letzterer sieht wie eine kleine Kindermütze aus. Da, wo sonst der Bommel sitzt, ist die Vagina zu erkennen. Auch im „Akt der Begierde“ spielt sie eine Rolle. Rudimentär zeigt Ursel Arndt die Vorderseite eines Frauenkörpers, daneben den Rücken. Wirkt die eine, mit schmerzverzogenem Mund, rot gesticktem Geschlechtsteil, anklagend, strahlt die andere unendliche Ruhe, ja Sinnlichkeit aus. Der Rücken schwebt förmlich im Raum. Gehalten von dünnen Fäden. Lebensfäden. Werden. Wachsen. Welken. Vergehen. Davon sind nicht nur Menschen, sondern auch die Arbeiten selbst betroffen. Motten lieben die Wolle, sie haben sogar schon ein Kunstwerk verspeist. Andreas Hergeth

Bis 31. März, Mo.–Fr. 12–19, Sa. 12–16 Uhr, Galerie 31, Paul- Lincke-Ufer 44, Kreuzberg

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