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■ VorschlagDie Komik des Krümelvernichtens und - "Die Athleten des Herzens"

Ein Mann schlurft auf die Bühne, nestelt umständlich an einer Posaune herum und hebt an zu sprechen. Sprechen? Von „der Erschaffung von Welt“ und anderem mehr kündet er mit ohrenbetäubendem Krächzen und verspricht dann maliziös, die Zuschauer für zwei Minuten allein zu lassen. Zwei Minuten stilles Zwiegespräch mit dem Kohlenkellercharme des Theaters im Schoko- Laden hält man gut aus, zumal die Sägestimme im Hintergrund zum Weiterlachen animiert und bald darauf schon den ersten von „drei attraktiven Menschen“ ankündigt. Das ist eindeutig zynisch, denn wie mag die Attraktivität wohl beschaffen sein in einer „Freakshow in vier Akten“, wie „Die Athleten des Herzens“ ihre gleichnamige Produktion untertiteln?

Die Ex- und Nochstudenten der Schauspielschule „Ernst Busch“ bekennen sich in der vielversprechenden Auftaktinszenierung ihres langfristig angelegten Gemeinschaftsprojekts zum Grellen und Dissonanten. Die Schau- und Puppenspieler Martin Bauer, Frida Beraud, Rainald Grebe und Bertram Kemmler zeigen unter der Regie von Claudia Bauer ein puppenlos puppenhaft gestaltetes Panoptikum menschlicher Kuriositäten. Nach dem „Vorbild“ der Völkerausstellungen, in denen Carl Hagenbeck noch bis 1931 Menschen zu zoologischen Sehenswürdigkeiten degradierte, präsentieren sie eine „Affenfrau“ aus Patagonien und einen ornitophilen „Verwandlungskünstler“ mit Eunuchenstimme und gargantuesker Körperfülle. Doch unter den letzten der Freaks ist auch Hagenbecks Alter ego, der mit leeren Augen und tonloser Stimme in den Freuden des Zirkuslebens schwelgt.

O ja, ein gewaltiger Riß geht durch das Menschentier! Und wer könnte ihn deutlicher machen als „Darwins missing link“? Frida Beraud doziert als grotesk behaartes und rosa umhülltes Tierweib in orgiastischen Tönen über die Kunst des damenhaften Kauens und Krümelvernichtens, klappt das rote Fleisch ihrer Unterlippe nach außen und schreit mit überschnappender Stimme ins Publikum: „Sehen Sie hier etwa Brösel?“ Wonne und Verzweiflung liegen in den Soli der domestizierten Freaks und verwilderten Dompteure nah beieinander. Wie das Gefallen-Wollen um jeden Preis die menschliche Würde zerstört, dies auf der Bühne zu sehen ist ein seltsamer und trauriger Spaß. Sabine Leucht

Außer 16., 21., 23. und 24.3. noch bis zum 29.3., 20.30 Uhr, Theater im Schoko-Laden, Ackerstraße 169–170; Mittwoch Freak-Tag, freier Eintritt für Affenfrauen, Siamesische Zwillinge etc.

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