■ Vorschlag: Gelungene Puppen und gescheiterter Grusel in der Schaubude
Das Gespenst hat eine Nase von immenser Größe, die fast waagrecht in den hübschen kleinen Raum hineinragt, den Rolf Herold für die Puppentheater-Inszenierung „Das Gespenst von Canterville“ gebaut hat. Das Gespenst geht am Stock, ächzt und stöhnt erbärmlich und hat es auch sonst recht schwer. Denn das alte Schloß, in dem es seit abertausend Jahren mit der personifizierten Blutlache „Herr Fleck“ herumspukt, wurde von Familie Otis in Beschlag genommen: vier lärmenden Gestalten mit kollektivem Überbiß, gegen deren unerschütterliche Dämlichkeit sich noch der gruseligste Gruselversuch possierlich ausnimmt. Schlechte Zeiten also für Schloßgespenster!
Die Koproduktion des Weiten Theaters und des Puppentheaters Regina Wagner, die derzeit in der Schaubude zu sehen ist, hat die Altersgruppe jugendlich aufwärts im Blick. Tatsächlich ist es kein Kindertheater, was dem Publikum eineinhalb Stunden lang geboten wird, aber unglaublich kindisch ist es allemal. In der Textfassung „frei nach Oscar Wilde“ nennt „die Mutti“ ihren Harald mit plötzlicher Zärtlichkeit „Mäuseschwänzchen“, es wird im Dunkeln gejuchzt und gekiekst, und die mit „erwachsenen“ Anspielungen überfrachtete Handlung verläppert in darstellerischer Geschäftigkeit.
Es ist nicht so, daß die drei Puppenspieler ihr Handwerk nicht beherrschten, doch fehlt der in Eigenregie entstandenen Inszenierung spürbar der kritische Außenblick, der den gröbsten Verbalidiotien den Garaus machen und Struktur hineinbringen könnte, wo nur der gute Wille herrscht. So aber kann das Interesse die ersten zehn Minuten nicht überdauern, bald wünscht man sich, man könne den (allzu theatralischen) Ton abdrehen und allein den eigenwilligen Puppen Ralf Wagners zuschauen. Gelegenheit dazu hat man im Foyer der Schaubude, wo nach den skurrilen Figuren Thomas Klemms einige Kostproben aus der Wagnerschen Puppenbau- Werkstatt zur Betrachtung einladen: Neben knuffigen Tieren (die Berliner Eltern aus den liebevollen Kindertheater-Inszenierungen Regina Wagners oder aus Ulrich Treus „Puppentheater Berlin“ bekannt sein dürften) blicken hier grobschlächtige, seltsam schrägäugige Menschenfiguren von den Wänden herab. Sie besitzen die Drastik und jene berückende Liebe zum Detail, die die Inszenierung so schmerzlich vermissen läßt. Sabine Leucht
Ausstellung noch bis 12.4., weitere Aufführungen: 27.–29.3. und 3.–5.4., Schaubude, Greifswalder Str. 81–84
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen