■ Vorschlag: Kafkas Sozialismus – Lesung in der literaturWERKstatt
Die Bücher des Schriftstellers Hans-Christoph Buch sind oft recht rätselhaft. Er montiert in seinen Textcollagen sogenannte „geschichtliche Realität“ mit fiktionalen Elementen, und man fragt sich, warum er all die historischen Persönlichkeiten in seine oft irreale Romanwelt hineinzaubert, und außerdem möchte man manchmal wissen: Was ist hier ausgedacht, was Wirklichkeit? Buch würde hierauf, Franz Kafka zitierend, antworten: „Wirkliche Realität ist immer unrealistisch.“ Und insofern stellt sich ihm diese Frage gar nicht. Wem sich diese Frage aber doch stellt und wer Buchs neueste Erzählung „In Kafkas Schloß“ gern ein wenig enträtselt hätte, der muß heute abend in die Pankower Literaturwerkstatt kommen, wo nicht nur der Schriftsteller aus ebenjenem Buch lesen wird, sondern auch einer der Protagonisten der Erzählung anwesend sein wird: der tschechische Kafkaforscher und Ex-Kommunist Eduard Goldstücker.
Der von Goldstücker 1963 in der Tschechoslowakei organisierte Kongreß über Kafkas Werk und dessen Bedeutung für den Sozialismus steht im Zentrum von Buchs Erzählung. Da treten all die Kulturfunktionäre und sozialistischen Schriftstellergrößen von damals auf und bewerten Kafkas Kommunismusverwendbarkeit. Der DDR-Kulturfunktionär Fritz Koch kritisiert „Kafkas Traumzwang“ und findet diesen mit der schönen SED-Parole „Helle Köpfe – heiße Herzen“ total unvereinbar. Anna Seghers weiß, daß „Kafkas Weg nicht unser Weg ist“, und Milan Kundera läßt Buch sagen: „Die Texte, die Kafka uns hinterlassen hat, sind chiffrierte Botschaften, geheime Kassiber, deren Code von keinem Nachrichtendienst zu knacken ist.“
Und der Gast des heutigen Abends, Eduard Goldstücker, greift immer wieder schlichtend ein und ruft schließlich aus: Das Unglück sei Kafkas früher Tod gewesen, denn er weiß: „Kafka hätte den Weg zum Sozialismus gefunden.“ Die Konferenz hat wirklich stattgefunden, die Menschen sind alle real, ihre Handlungen auch? Vor allem weil Buch parallel zu dieser Konferenz ein Theaterstück erdichtet, in dem Casanova, Don Quichotte, Marco Polo und der Baron von Münchhausen auftreten, das zu der Kafka-Konferenz eine vage Verbindung hat, findet man sich im halbrealen Erzählgestrüpp etwas schwer zurecht. Goldstücker wird heute abend berichten, wie es wirklich war, und sich vielleicht mit den Worten bei Hans Christoph Buch beklagen, mit denen er sich auch aus der Erzählung verabschiedet: „Warum bauen Sie mich in Ihr Lügengespinst ein und legen mir Worte in den Mund, die ich nie und nimmer gesagt habe, um mich am Nasenring Ihrer Phantasie als Tanzbär durch die Menge zu führen?“ Volker Weidermann
Heute, 20 Uhr, Literaturwerkstatt, Pankow, Majakowskiring 46-48
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