■ Vorschlag: Bilder von Ernst Altmann in der Galerie Ostowar
Ausgangspunkt war ein Künstlerbuch. Ernst Altmann, 1968 in Berlin geboren und bei Gerhard Richter in Düsseldorf ausgebildet, hat es in der eigenen Edition Quecksilber herausgegeben: „Der Turm“. Altmann hat darin seine Fotos von Streifzügen durch Berlins Neubauviertel und U-Bahn-Schächte spiegelbildlich gedoppelt oder mehrfach wiederholt und diesen Bildern Aufnahmen von Föten aus der Pathologie der Charité oder Fundfotos aus Medizinbüchern und der Presse gegenübergestellt. Das Buch wurde zur Geburtshöhle für die Ausstellung, der Computer ihr Helfer. Die Bilder haben sich legiert, multipliziert, zu Rasterstrukturen ausgewachsen, die Schalttafeln oder Nervenbahnen gleichen – beunruhigende optische Flimmermuster.
Zwei Welten treffen in den Bildern von Altmann unmittelbar aufeinander: Norm und Chaos. Zum einen sind es die Konstruktionen, ob Behausungen oder Verkehr, monumental und kleinteilig zugleich. Dort sieht man stur repetierende Ornamente der Nützlichkeit, endlose Fluchtlinien, verwinkelt, verschachtelt. Durch rechnergenerierte Bearbeitung hat Altmann den Schwarzweißfotos jedes Zufällige und Zeittypische ausgetrieben. Nur das hohle Skelett moderner Urbanität aus Fensterhöhlen und Balkonrippen bleibt. Am Bildschirm verfremdet, entstehen durch elektronenschnelle Vervielfachung neue bizarre Ornamente, die Altmann zu Offsetcollagen verarbeitet. Schemenhaft und grünlich schimmernd taucht hinter diesen Formationen der Mensch auf. Das ist die andere Welt in den Bildern Altmanns. Den erstarrt-trostlosen Mißbildungen des Funktionalismus stehen humane Mißgeburten gegenüber, jene, „zum Tode geboren, die von der Schwelle des Lebens aus uns andere leben sehen“, wie Curzio Malaparte in „Die Haut“ schreibt. Präpariert, in Konservierflüssigkeit hinter Glas aufbewahrt, unförmig, aufgebläht, erscheinen sie von unheimlicher Präsenz. Dazu gesellen sich medizinische Demonstrationsobjekte, denen die Häuserraster wie Zwangsjacken aufliegen. Altmann versucht mit seinen fotografischen Bildwelten, denen Ölgemälde von 1993/94 vorausgingen, wie durch ein Röntgengerät hinter die Fassaden der Normalität zu schauen. Das Mechanisierte gebiert Ungeheuer. Hinter kühler Pracht lauert der Tod. Und unter „Hempels Sofa“, so der Titel einer Bilderreihe, liegen Leichen. Michael Nungesser
Bis 18.7., Di.-Fr. 16-19 Uhr, Galerie Ostowar, Apostel-Paulus- Str.35
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