■ Vorschlag: „Baby, I will make you sweat“ – von Birgit Hein im Arsenal
Seit 32 Jahren macht Birgit Hein Filme übers eigene Leben. In den Empfindungen des vereinzelten, verletzlichen, neurotischen Künstler-Ichs, das seiner Verletzungen kuriert, indem es sie ausstellt, sollte sich Gesellschaft spiegeln. Gegen die bürgerliche Scham, die sauberere Bilder bevorzugt, standen die intimen Bilder, die erst, als sie Bilder wurden, darauf bestehen konnten, daß das Private politisch sei. So kämpften Heins Filme gegen die gesellschaftlichen Zwänge, bestätigten damit allerdings auch gleichzeitig das Primat des Politischen. Birgit Heins Tagebuchfilme bestehen aus einem unaufhörlichen, sich jeder Selbstdistanz (die gilt als Zwang) mutig enthaltenen Filmmonolog übers tabuisierte Private: Ficken, Menstruieren, Pissen, Trinken, Kiffen, usw. Schonungslos und superoffen spricht sie über alles. Ein rousseausches Konzept also; ich stell mich aus, auf daß wir alle freier werden. Eine Zeit lang funktionierte das. Irgendwann wurde es deprimierend. Weil sie es schon so furchtbar lange machte, weil sie als Braunschweiger Filmprofessorin immer noch so tat, als gehörte sie zum unterdrückten Teil der bundesrepublikanischen Wirklichkeit, weil sich das gesellschaftliche Verhältnis zum Privaten, zum Sex, zum eigenen Körper mittlerweile verschoben hat. Hin zu verkitschten Selbstinszenierungen, die wie das jungfräuliche Paar aus Amerika, das sein erstes Mal ins Netz übertragen lassen wollte, oder die durchgedrehte Schauspielerin, die die Geburt ihres Kindes ebendort zeigen wollte – viel zwanghafter wirken, als es die Tabuisierungen der 60er Jahre möglicherweise jemals waren.
In „Baby, I will make you sweat“ erzählt Birgit Hein davon, wie sie zu Hause keine Liebhaber mehr findet und deshalb alljährlich nach Jamaika fährt. Gut, das mal zu thematisieren. Ab und an nur werden die Bilder von so einer unangenehmen Ideologie überlagert, die einen schon damals bei den Indienfahrern angekotzt hatte. Es ist auch schade, daß sie so tut, als lägen Welten zwischen frustrierten Männern, die aus sextouristischen Gründen in die Dritte Welt fahren, und Frauen. In beiden Fällen bekommen sie das, was sie wollen, weil sie eben reich und ihre LiebhaberInnen arm sind; in beiden Fällen kann, aber muß das nicht moralisch verwerflich sein. Ästhetisch ist „Baby I will make you sweat“ übrigens einer der besseren Filme der Braunschweiger Filmprofessorin. Die Originalaufnahmen drehte sie auf Hi-8 und filmte die Videoaufnahmen vom TV ab. So entstanden recht schöne grobkörnige Bilder, nach denen man gleich nach Jamaica fahren möchte. Detlef Kuhlbrodt
heute, 17 Uhr im Arsenal, Welserstraße, Schöneberg
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