■ Vorschlag: Robin Hood im East End: Das fsk zeigt Antonia Birds „Face“
„Porn stinks“ steht an einer Wand, „Missing“ auf einer Werbetafel, ein Poster von „Land and Freedom“ hängt im Zimmer eines der Akteure. Regisseurin Antonia Bird, deren Erstling „Priest“ um die schwule Leidenschaft eines Geistlichen kreiste, geht in „Face“, ihrem zweiten Spielfilm, den plakativen Weg. Während sich das junge britische Kino zwar mit Sympathie, aber eben auch ganz unaufgeregt dem Leiden der Deklassierten zuwendet, übt sie sich in Ernsthaftigkeit. Etwas schulmeisterlich werden Chancen und Beschränkungen linker Politik verhandelt, sinnieren die Figuren bald über die Notwendigkeit des Engagements, bald über die Macht des Geldes, wird doppelt deutlich ausgesprochen, was man längst begriffen hat: ein klarer Fall von Publikumsunterschätzung.
Doch „Face“ hat durchaus Qualitäten. Da ist zum Beispiel Robert Carlyle, der den Protagonisten Ray verkörpert. Ob als cholerischer Säufer in „Trainspotting“, als Möchtegern-Dream-Man in „The Full Monty“, als aufmüpfiger Busfahrer in „Carla's Song“ oder eben als Gangster mit hehren Absichten in „Face“ – der Mann verdient den Hype, der um ihn gemacht wird. Birds Film läßt ihm, läßt seinem Gesicht viel Raum. Die Kamera darf der Trauer und der Müdigkeit nachspüren, die ihn überkommen, weil er seinem Leben die falsche Richtung gegeben hat. Denn Ray, einst als Gewerkschaftsaktivist auf der Seite der Entrechteten, verdingt sich mittlerweile als Gangster. Und so muß er sich schon sehr belügen, um sich die eigene Selbststilisierung zum Robin Hood des Londoner East End abzukaufen. Die späte Einsicht fällt nicht leicht, zumal Verrat und Habgier in den eigenen Reihen lauern. Schnell ist's vorbei mit der Solidarität der Gang, sind Zwietracht und Mißtrauen da.
Wer den Verrat weshalb begangen hat, ist neben der Frage nach Engagement vs. Geldmachen der zweite Motor des Films. Hier inszeniert Bird mit mehr Geschick: Die Andeutungen sind subtil, die Auflösung raffiniert, und der Showdown hält eine so plausible wie unerwartete Volte bereit, daß man den glücklichen Ausgang fast glauben mag – selbst wenn er den Auftaktsong, Paul Wellers „Everything has a price to pay“, Lügen straft. Cristina Nord
„Face“. Regie: Antonia Bird. Mit Robert Carlyle, Ray Winstone, Damon Albarn. GB 1997, 105 Min. fsk, siehe cinema-taz
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