■ Vorschlag: Exkurs ins Youngstergewäsch: „Leonce und Lena“ im Theater zum Westlichen Stadthirschen
Rebellisch und zitternd vor Zorn, baut sich Prinz Leonce alias Maximilian Reiser gleich zu Anfang vor dem Publikum auf. Als wolle er jedem einzeln einbleuen, daß es so nicht mehr weitergehen kann: Jetzt zähle er schon Sandkörner aus lauter Langeweile. Soll das etwa das Leben sein? „So widersprechen Sie mir doch!“ – Tatsächlich ist in Georg Büchners Shakespeare-inspiriertem Lustspiel „Leonce und Lena“ etwas faul im Staate Popo, und zwar nicht nur der Zwangsmüßiggänger Leonce: Papa Peter (Rainer Reiners), seines Amtes müder König von Popo, verdonnert seinen Sohn a) zur Übernahme der Regierungsgeschäfte und b) zur Heirat der fremden Prinzessin Lena (Heike Steinweg). Den Thronfolger packt der Lebensekel, bloß raus da. So verabschiedet er en passant seine reizende Freundin Rosetta (Ann-Cathrin Sudhoff), tut sich mit dem überzeugten Hedonisten Valerio (Barneby Metschurat) zusammen und geht – bewährte Krisenlösung seelengestreßter Deutscher – erst mal nach Italien.
Das gern und oft gespielte „Leonce und Lena“ in einen gegenwärtigen Kontext zu stellen bietet sich scheinbar an. Übersättigung und Freizeitstreß – gut, haben wir auch! Andererseits entspringt die Komik bei Büchner einem Set gesellschaftlicher Konventionen, das längst gegen andere ausgetauscht wurde. Der Berliner Regisseur Peter Lüders tut insofern gut daran, seine „Aktualisierung“ auf der Bühne des Theaters zum Westlichen Stadthirschen in der Schwebe zu halten – auch wenn man ihm vorwerfen könnte, daß ihm letztlich die zündende Idee gefehlt habe. Die höfische Jugend steckt in zwitterhaften Klamotten, halb A-Klasse der H & M-Couture, halb Clownskostüm, und bewegt sich über eine dezent als Kunstarten dekorierte Bühne: hier drei blütenförmige Lampenschirme, dort ein Futon unter Drahtlaub, hingetupft. Und jenes poetelnde Deklamieren und Sinnieren („die Pflanzen legen ihre Fiederblättchen zum Schlaf zusammen“), das schon Büchner ganz ironisch meinte, wird durch eine Comic-hafte Laut- und Gestensprache ergänzt, durch zotige Pantomimen und kleine Exkurse ins alltägliche Youngstergewäsch. Das alles verschränkt sich wie selbstverständlich mit dem gut 150 Jahre alten Text, und es ist ein großes Vergnügen, den auf der Basis dieser Mixtur vorzüglich interagierenden SchauspielerInnen zuzusehen. Nachdem Lena das Wort „Heiraten?“ ausgesprochen hat, als sei ihr ein Stück verdorbener Fisch zwischen die Zähne geraten, ist der Weg für ein Nicht-so-richtig-Happy-End gebahnt. Über diverse genreübliche Verwicklungen kommt es schließlich doch noch zur unbeabsichtigten Hochzeit von Leonce und Lena – obwohl beide sich tatsächlich beim anonymen, mediterran entspannten Quartettspiel ineinander verlieben konnten. Alles gut? Glückliche Fusion privater Sehnsüchte und gesellschaftlicher Zwänge? Am Ende – und dies steht nicht bei Büchner – schlendert König Leonce mit jovialem Grinsen vor zur ersten Reihe, wo er mit ignorantester Politikerarroganz fragt: „Was wollen Sie eigentlich von mir?“ Man arrangiert sich eben, privat wie öffentlich. Eva Behrendt
Weitere Aufführungen: bis 6.9., Mi.–So. 20.30 Uhr,
Kreuzbergstr. 37
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen