■ Vorlesungskritik: Ordinarius mit Leistungsstörung
Zehntausende Studenten an den Berliner Hochschulen besuchen Woche für Woche Vorlesungen. Eine antiquierte Lehrform? Die taz rezensiert in den kommenden Wochen ausgewählte Beispiele.
Elegant gekleidet wie stets, tänzelt Uwe Wesel vor den Bankreihen hin und her. Doch gele
Uwe Wesel Foto: A. Schoelzel
gentlich läßt er den lockeren Plauderton und tritt ans Katheder. Dann setzt er die Lesebrille auf, um die Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuchs vorzutragen. „Es ist zum Verzweifeln, das Gesetz hat einfach keine Systematik. Ich bims' das mit Ihnen ein, ich reite darauf herum wie der Jäger aus Kurpfalz.“ Die „Philosophie“ des BGB, weiß Wesel, „ist die Kunst, mit Worten, die keiner versteht, zu sagen, was jeder weiß“.
Damit das mit dem Einbimsen auch funktioniert, liegt gleich daneben sein „didaktisches Konzept“. Der ironische Unterton läßt ahnen, daß Wesel stolz darauf ist, in Wahrheit keins zu haben. Wenn überhaupt, dann besteht es offenbar darin, sich einzelne Studenten vorzuknöpfen: „Jetzt suche ich mir irgend jemand aus, weil er so ein schönes buntes Hemd hat.“ Das gehört, wie Wesel in aufklärerischer Pose zum besten gibt, zur Juristensozialisation: „Sehen Sie sich die Gestalten im Justizprüfungsamt an, die Persönlichkeit ist doch zerstört. Jura ist Herrschaftswissen, da darf man nicht zu frech sein.“
Die Zeiten, in denen Wesel als FU-Vizepräsident in den turbulenten Jahren von 1969 bis 1973 die Partei der linken Studenten ergriff und deshalb aus der SPD ausgeschlossen wurde, sind längst vorbei. Die Selbstinszenierung, die ihm in der Öffentlichkeit noch heute den Ruf eines heroischen Außenseiters der Zunft einträgt, gerät immer deutlicher zu einer Melange aus Eitelkeit, Arroganz und Zynismus.
Im Hörsaal aber trägt sie nicht weit. Vorlesungen vor Jura-Studenten sind kein Heimspiel. Noch fünf Minuten nach Beginn, Wesel hat sich längst das Saalmikrophon um den Hals geschlungen, machen es die lärmenden Zweitsemester in den hinteren Bankreihen fast unmöglich, auch nur Fetzen dessen zu verstehen, was der 61jährige Ordinarius über Leistungsstörungen beim Vertrag erzählt.
„Wenn es Ihnen zu langweilig wird, erzähl' ich Ihnen einen Witz.“ Die Mehrheit der Hörer nimmt das Angebot erwartungsgemäß an. „So interessant schein' ich ja juristisch nicht zu sein“, konstatiert Wesel und erläutert den „Unterschied zwischen einem Griesbrei und einem Epileptiker“. Als ein Student auf Wesels Nachfrage – „wie fanden Sie den Witz“ – einwendet, er solle sich nicht auf Kosten von Randgruppen belustigen, ist das Leitmotiv der Doppelstunde gefunden. Der linke Professor amüsiert sich fortan über „Randgruppenvertreter“.
Inzwischen hat der Lärmpegel nachgelassen. Der nuschelnde Wesel ist dennoch kaum zu verstehen. „Er hat Probleme“, verspottet er dennoch einen Studenten, der um mehr Lautstärke bittet – vor einem Auditorium, das, wen wundert' s, ungewöhnlich klein ist. Ralph Bollmann
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