■ Vorlesungskritik: Modernisierung wider Willen
Sie habe gerade „was Fieses“ sagen wollen, bemerkt Ute Frevert verschmitzt. Als sie über die „Muster getrennter Zuständigkeitsbereiche“ von Frauen und Männern spricht, worin sich der Nationalsozialismus kaum von Weimarer Republik und Kaiserreich unterschieden habe, kann sie es sich nicht versagen, die Parallele weiterzuführen: „Auch heute darf wieder eine Frau über Frauen im Dritten Reich sprechen.“
Selbst dazu ist es erst im letzten Moment gekommen. Die Fachschaft Geschichte an der Humboldt-Uni hatte für ihre Ringvorlesung „Herschaft und Gesellschaft im ,Dritten Reich‘“ zunächst eine rein männliche Referentenliste zusammengestellt. Das behagte freilich der Uni-Präsidentin Marlis Dürkop nicht, woraufhin die Studierenden schnell noch Ute Frevert einluden, über „Das ,Zweite Geschlecht‘ im ,Dritten Reich‘“ zu sprechen.
Sonderlich groß ist die Auswahl an Geschichtsprofessorinnen in Deutschland allerdings auch nicht. Das Interesse der Berliner Kollegen an Freverts Vortrag hielt sich dennoch in Grenzen. Gehört ein starkes Aufgebot an Lokalprominenz bei universitären Gastvorträgen sonst zum guten Ton, glänzte sie diesmal durch Abwesenheit. Dabei hätte es dem Fachbereich gut zu Gesicht gestanden, das Gedenken an das Kriegsende nicht allein den Studierenden zu überlassen.
Mit Frevert war die prominenteste Vertreterin der Geschlechtergeschichte nach Berlin gekommen.
Den in der Disziplin gängigen Klischees vom „Dritten Reich“ als „Frauenhölle“ mochte sie aber nicht folgen. Dieses Bild entspreche zwar der männerbündischen Ideologie der Nationalsozialisten, doch im Ergebnis habe deren Politik auch modernisierende Resultate gezeitigt. Damit griff sie die These Ralf Dahrendorfs und David Schoenbaums aus den sechziger Jahren von einer nationalsozialistischen „Modernisierung wider Willen“ wieder auf, die aber erst seit der kritischen Wendung des Modernisierungsbegriffs in den achtziger Jahren breitere Resonanz findet.
So hätten die Versuche, die Frauen zu „herausragenden Gebärleistungen“ anzustacheln, die Entwicklung zur Zweikinderfamilie nicht aufhalten können. Auch die anfänglichen Versuche, Frauen aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen, verliefen aufgrund des mit der Aufrüstungspolitik verbundenen Arbeitskräftemangels bald im Sande. 1939 waren zwei Millionen mehr Frauen erwerbstätig als 1933. Im Zuge der Kriegswirtschaft wurden beide Geschlechter im öffentlichen Dienst erstmals gleich bezahlt.
Auch die Kinderbetreuung verbesserte sich, was freilich nur die längeren Arbeitszeiten kompensieren sollte. Schließlich verschafften auch die NS-Organisationen Tausenden von Frauen eine außerhäusliche Beschäftigung. „Diese Teilhabe an der Macht schuf Loyalitäten“, unterstrich Frevert in der Diskussion. „Frauen haben zur Stabilisierung des Systems eine wichtige Rolle gespielt.“ Ralph Bollmann
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