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■ VorlaufSchrecklich nett und grauenhaft bescheiden

„Cinquillo Cubano. Die kubanische Familie Vistel Colombie“, Dokumentarfilm über eine Musikerfamilie, 22.15 Uhr, arte

Archimero Vistel brachte allen Kindern seines Dorfes ein Instrument bei. Seinem Sohn Daniel Vistel lag die Musik praktisch im Blut, als er 1926 geboren wurde. Etwa zwanzig Jahre später vernahm die junge Lehrerin des Nachbardorfes sein werbendes Trompetensolo. „Cinquillo Cubano“ bezeichnet den Rhythmus kubanischer Popularmusik. In Daniels Orchester spielen alle Familienmitglieder mit.

„Cinquillo Cubano“ heißt auch Jochen Kraußers Dokumentarfilm über die Großfamilie Vistel, und der Film beginnt launig. Das Meer säuselt, fröhliche Menschen wippen im Takt. Kraußer hätte die Vistels als personifizierte Chronik kubanischer Geschichte sprechen lassen können. Das tut er nur halbherzig. Der Erzählfaden von „Cinquillo Cubano“ schwingt über die Hälfte so lose, daß man schon mal den Überblick verliert. Wovon soll nun eigentlich erzählt werden – von der kubanischen Musik, von den üblen Lebensbedingungen im Lande des glorreichen Fidel oder von Lebenswegen? Klar, daß alles zusammenhängt, doch gerade die Schnittkanten tunkt Kraußer in heikle Freundlichkeit.

Daniel Vistel war in den fünfziger Jahren ein reicher, berühmter Musiker, der sich im Cadillac zu Tanzbars fahren ließ. „Von den Hits der kubanischen Salonmusik bis zu den Schlagern der Revolution“ hat er alles gespielt. Ohne auch nur einmal stutzig zu werden? Ohne Notenblattknappheit und Lebensmittelrationierung einmal zu verfluchen? Das will man einfach nicht glauben.

In „Cinquillo Cubano“ sind alle schrecklich nett und grauenhaft bescheiden, allen voran der Regisseur. Selbst der Profimusiker Rudi Vistel lebt nur wegen seiner Arbeit im spanischen Exil. Kuba ist ein schönes Land, doch Jochen Kraußer zeigt einfach zuviel Mut zum Verständnis. Wie ist es wirklich, wenn ein Traum absteigt? Das eigentliche Mirakel des Films liegt darin, daß eine Leidenschaft für Musik sich weder durch den harten Alltag noch den Wechsel der Ideologien demütigen läßt. Anke Westphal

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