■ Vorlauf: Kein Absturz in Historienkitsch
„Vom Vater verraten“, So., 22.55 Uhr, Hessen 3
Freya Klier ist keine Marktschreierin. Die Theaterfrau, 1987 noch Honeckers Lieblingsfeindin, arbeitet gern im Stillen. Die Berlinerin schrieb nach 1989 Bücher über verheerende SED-Pädagogen, recherchierte die Hölle von Ravensbrück, klärte Schulklassen über die DDR-Diktatur auf. Am Sonntag beschäftigt sie sich mit Anja Lundholm. Die Frankfurter Romanautorin wurde gerade 80 Jahre alt, sie leidet an multipler Sklerose infolge der KZ-Lagerhaft.
Eine Odyssee hat diese Frau hinter sich. Geboren als Tochter eines Nazis und einer jüdischen Mutter, emanzipiert sie sich früh, geht als Künstlerin nach Berlin und wird Ufa-Schauspielerin. Dann flieht sie nach Rom, arbeitet dort als Paßfälscherin im Widerstand, ehe die Gestapo sie verhaftet und ins KZ Ravensbrück sperrt. Ihre Mutter hat da schon Selbstmord begangen, der Vater atmet auf: Er hat sie in den Tod getrieben und kann nun endlich die Fahnen an Nazifeiertagen aus dem Fenster hängen. Anja Lundholm selbst bekommt im Exil eine Tochter von einem holländischen Nazi-Spitzel – ein Kind, das sie erst später zurückbekommt. Daß die Tochter später mit 37 an Krebs stirbt, macht den Unglücksbecher in diesem Leben übervoll.
Freya Klier skizziert Anja Lundholm ohne viel Pathos. Sie möchte Bilder sprechen lassen, aber da beginnt schon das Problem: Die bewegten Bilder aus dieser Zeit fehlen, sie werden durch zu viele aktuelle und austauschbare Szenen aus dem Rom und Berlin von heute ersetzt. Im Film taucht zudem nur eine Zeitzeugin selbst auf: Anja Lundholm. Das ist eine Verbeugung vor dieser Frau, aber macht ihn auch an einigen Stellen ein wenig monoton und konventionell. Aber: Von reißerischer Bildersprache und nachgestellten Schlüsselszenen, wie sie ZDF-Geschichtspapst Guido Knopp bevorzugt, ist Freya Klier weit entfernt. Bei der Gratwanderung zum Historien-Kitsch stürzt sie nicht ab. Anja Lundholm hat sie auf diese Weise ein kleines Denkmal gesetzt. Manfred Otzelberger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen