■ Vorlauf: Lieber Onkel
„Lübke“, 00.00 Uhr, N3
Den ehemaligen Bundespräsidenten Heinrich Lübke (1959–1969) porträtieren: ein abseitig schönes Thema, das sich Lars Jessen, geboren 1969 und Absolvent der Kunsthochschule für Medien in Köln, gewählt hat. Einmal ohne den üblichen Todes- oder Geburtstags-Pseudoanlaß einen Blick auf eine fast vergessene Figur werfen.
Jessen beginnt seinen Film mit der legendären Pardon-Schallplatte, die Ende der 60er Jahre die gröbsten Fehlleistungen Lübkes präsentierte: Wie er einmal eine Rede in Helmstedt hält und nicht mehr weiß, wo er ist; wie er die japanische Stadt Osaka mit dem Potenzmittel Okasa durcheinanderbringt; oder wie er mit eiernden Gedanken die Vorzüge des Tiefkühlfischs lobt. Immer wieder komisch, was der Film leider nicht ist. Denn allzu behäbig und ironiefrei breitet der Autor das Besteck des professionellen Dokumentaristen aus. Befragt Zeitzeugen und Lübke-Vertraute, besucht die entsprechenden Orte, verfolgt den Werdegang des sauerländischen Bauernsohns und läßt Schritt für Schritt die Geschichte der Skandale, die sich um den damaligen Bundespräsidenten rankten, abrollen. Jessen nähert sich der historischen Person, um den „wahren“ Lübke zu finden. Doch da ist gar nichts zu entdecken. Selbstverständlich bleibt Lübke die platte Figur, die er immer war.
Ohne die notwendige Distanz zum Gegenstand der Betrachtung jedoch gerät die Dokumentation zum Versuch einer Ehrenrettung des „auf die Witzfigur reduzierten ehemaligen Bundespräsidenten“. Zum Schluß faßt Willy Brandts Sohn, der 1969 Lübke als Nachbarn und „lieben unbeholfenen Onkel“ erlebte, Jessens Recherche zusammen: Daß ausgerechnet Lübke das höchste Staatsamt bekleidet habe, sei „toll“, denn es habe etwas „Unbedrohliches“. Eine Bilanz, die einen schon frösteln läßt, wenn dem „lieben Onkel“ Lübke, der während der Zeit des Nationalsozialismus Baracken für Zwangsarbeiter bauen ließ, hier allzu gütig das warme Mäntelchen der Geschichte übergestülpt wird.Michael Ringel
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