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■ VorlaufDer Elvis von Neukölln

Rock 'n' Roll Jacky“, 20.45 Uhr, Arte

Damals, in den 50ern und 60ern, konnte Jacky Spelter es sich leisten, ganze Nachtclubs zum Sekt einzuladen. Auch Pralinen für die Go-go-Damen waren drin. Ein Auto hatte er auch. Ans Zurücklegen denken? Künstlersozialkasse statt Saalrunde? Rock 'n' Roll und Rente, das paßte noch nie zusammen. Und so lebt der Hesse Jacky, der in einem US-Gefangenenlager Gitarre lernte, seit 35 Jahren verarmt in Berlin-Neukölln. Auftritte seiner Band Jacky and his Strangers finden nur noch selten und in so ausgesuchten Suffkneipen wie dem Blauen Affen statt.

„Rock 'n' Roll Jacky“ ist ein Porträt mit sehr viel Zuneigung zum Objekt. Autor Jens Arndt zeigt Jacky beim Schach, in seiner engen Küche, wie er einem noch ärmeren Mitmusiker Buletten brät und sie ihm anschließend auf dem Moped vorbeibringt, und er begleitet den 72jährigen auf seinen Kiezspaziergängen.

Manchmal wünscht man sich und dem Film ein wenig mehr Distanz. Denn die Tragik der Figur Jacky vermittelt sich vor allem in den melancholisch-schönen Kamerabildern von Hans-Jürgen Büsch. Wenn der „dienstälteste deutsche Rock 'n' Roller“ am Görlitzer Park einsam auf die Wagenburg schaut, leuchtet nur seine geliebte, 44 Jahre alte Fender-Gitarre gelblich, dem Rest des Bildes hat Büsch die Farbe entzogen. Ein, zwei Hundehaufen mehr hätten Arndts Zuneigung zu Jacky, die er auf den durchaus nicht nur netten und romantischen Berliner Stadtteil überträgt, nicht geschadet.

Im Grunde ist Jacky einer, der die Großen des Geschäfts einmal kurz gestreift hat – er spielte mit den Beatles als sie noch Silver Beatles hießen im Star Club, Elvis schüttelte ihm in Friedberg die Hand –, dessen Ruhm aber nicht ausreichte, um ihn vor dem Dasein als arbeitsloser Klempner zu bewahren.

Hoffen wir, daß der Film nicht bald zum Nachruf wird und Jacky noch einige Gigs bleiben, bevor ihn seine Zuckerkrankeit in Elvis' jetzige Kapelle abruft. Denn einen guten Koch könnte Elvis sicher noch brauchen. Andreas Becker

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