: Vor verhüllten Kameras
Die Deutschen Rollstuhlbasketballer spielen bei der EM erfolgreicher als ihre laufenden Kollegen / Medien glänzen durch Desinteresse ■ Aus Berlin Holger Gertz
Als nach dem Spiel die Autogrammsammler herbeieilten, bewehrt mit Filzstiften und Programmheften und Plakaten, hat Guido Wimmers sich seiner Pflichten genauso entledigt wie zuvor schon im Spiel gegen Israel: gelassen, kreativ, effektvoll. Zufrieden waren die Fans angesichts Wimmers' elegant geschwungener Signatur – so zufrieden wie Bundestrainer Ulf Mehrens über die Wurfqualitäten seines Centers. 14 Punkte hatte der gemacht und damit wesentlich beigetragen zum 66:37-Sieg, welcher der deutschen Rollstuhl-Basketballmannschaft alle Chancen läßt, in das Europameisterschaftshalbfinale vorzurücken. Und Wimmers hat auch weiteren Erfolgen den Weg bereitet, psychologisch zumindest: Aufmerksam hat Mehrens registriert, daß einige Emissäre des holländischen Teams „große Augen machten, als sie ihn sahen“. Verunsicherte Holländer sind den Deutschen gerade recht, denn vermutlich werden sich beide Teams im Semifinale oder Endspiel begegnen. Dabei ist Matchwinner Wimmers, mit 20 Jahren Junior im deutschen Aufgebot, nur deshalb in die Stammformation befördert worden, weil der eigentliche Center Thomas Schmicking kurz vor Beginn der EM gesperrt worden war. Die Krankheit des Spielers, ein Wirbelgleiten, sei reparabel, befand eine unabhängige Kontrollkommission; Schmicking könne auch in einem Fußgängerteam mitspielen und sei für die Rollstuhlfahrer überqualifiziert. Alle Proteste der Mannschaftsleitung nützten nichts, auch nicht das Anführen der Tatsache, daß Schmicking seit sechs Jahren im Rollstuhl-Basketballteam des USC Münster spielt. Die Kommission hielt an ihrem Spruch fest, Schmicking wird sich in einer Spezialklinik untersuchen lassen müssen, um den Grad der Einschränkung seiner Beweglichkeit neu bestimmen zu lassen.
Das Gezerre um Schmicking ist nicht die einzige Ungemach, der sich die Rollstuhlfahrer erwehren müssen. Unzufrieden sind sie nach wie vor mit dem geringen medialen Echo, das ihre beachtlichen Leistungen hervorrufen. Allenfalls in den Lokalteilen oder im Regionalprogramm wird ausführlich berichtet, „Die großen Sender“, sagt Manager Horst Schure, „verweigern sich total.“ Dem ZDF hat er vor Beginn der Meisterschaft einen langen Brief geschrieben und um angemessene Würdigung der Veranstaltung gebeten, an der 16 Teams mit mehr als 300 Sportlern und Sportlerinnen teilnehmen; der Etat liegt bei über 1,5 Millionen Mark. Die Mainzer Verantwortlichen haben sich bedankt und bedauert, daß sie keine Sendezeit freischlagen können. Obwohl Personal und Equipment wegen der zeitgleich ausgetragenen EM der Fußgänger vor Ort vorhanden sind. Aber als die deutschen Rollis im Eröffnungsspiel vor 2.000 tosenden Zuschauern in der Deutschlandhalle die Schweden in der Verlängerung niederrangen, haben, sagt Mehrens, „die Fernsehleute ihre Kameras verhüllt. Was willst du da machen?“
Schwierige Frage. Überhaupt hat sich die Kombination der EM – das Organisationskomitee veranstaltet beide Championate – nicht im Sinne der Rollstuhlfahrer ausgewirkt. Geplant war, daß sich Harnisch, Welp und Kollegen ab und an auch bei den Rolli-Spielen einfinden und die Berührungsängste abbbauen. Sie kamen nicht. Bei Manager Schure halten sich Häme – „die Burschen hatten genug mit sich selbst zu tun nach den ganzen Niederlagen“ – und Betrübnis die Waage, denn zum Beispiel im französischen Verband klappt die Kommunikation.
Ruhe geben wollen die Rollis nicht. Ulf Mehrens, von den deutschen Basketballtrainern gerade zum Coach des Jahres gekürt, will seinen Sport aus dem Behindertensportverband lösen und dem Deutschen Basketball-Bund angliedern, um die Akzeptanz weiter zu verbessern. Selbstbewußt wird Mehrens in die Verhandlungen gehen und mit dem wuchern, was die Rollstuhlbasketballer in den letzten Jahren geschafft haben: Längst messen sich die Männer in einer Bundesliga, 1.500 Teams insgesamt sind registriert, zunehmend spielen Frauen. „Wir können vieles einbringen in den Verband“, sagt Mehrens. Die Rollstuhl-Basketballer wollen keine Bittsteller mehr sein.
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