■ Vor den Parlamentswahlen in ganz Bosnien-Herzegowina: Auf dem Wege zum Protektorat
Die Einheit Bosniens werden die Wahlen am morgigen Samstag nicht sichern. Gewinnen werden die nationalistischen Parteien. An der Spitze des Staates werden Politiker stehen, die schon den Krieg geführt haben. Siegen werden jene, die die Rückkehr der Flüchtlinge verhindern, die Bewegungsfreiheit einschränken und die jeweils andere ethnische Gruppe schikanieren. Unwichtig sind die Wahlen deshalb nicht. Bosnien braucht ein wie auch immer vom eigenen Volk legitimiertes Staatspräsidium, um die Hoffnung auf die Einheit des Staates bewahren zu können.
Das beweist nicht zuletzt der Wahlkampf selbst. Lautstark trompete Biljana Plavsić vorgestern ihre Forderung nach einem großserbischen Staat in die Welt, in dem nur Serben leben sollen. Wie abstrus diese Idee ist, dürfte allein der Verweis auf die zu Serbien gehörenden Kosovo-Albaner belegen. Aber Abspaltungsgedanken gibt es nicht nur auf der bosnisch- serbischen Seite. Eine Mehrheit von 60 Prozent der bosnischen Kroaten glaubt fest daran, daß der immer noch nicht aufgelöste Rumpfstaat „Herceg-Bosna“ sich nach den Wahlen Kroatien anschließen wird. Und die muslimische Nationalpartei des Präsidenten Izetbegović führt den Wahlkampf im Banner des Korans. Seine Anhänger fordern die Macht, um „verlorene“ Gebiete wieder zurückzuerobern.
Die ethnische Teilung in Bosnien ist eine Realität. Aber wer die durch den Krieg geschaffenen Tatsachen nicht akzeptieren will, muß jeden Schritt begrüßen, der die Einheit des Staates bewahren hilft. Unstrittig ist, daß die in Kürze gewählten Vertreter dies nicht wollen. Genau deshalb muß die internationale Gemeinschaft die bosnischen Politiker aller Seiten zur Einhaltung des Dayton-Abkommens zwingen – ganz besonders nach dem Urnengang.
Deshalb ist es nicht nur nötig, daß die Ifor oder die Nato mindestens noch zwei Jahre in der Region bleiben, um einen neuerlichen Krieg zu verhindern. Ebenso wichtig ist ein international bestellter Verwalter, der in letzter Instanz in Bosnien entscheidet. Die Frage, ob es sinnvoller gewesen wäre, Bosnien gleich zum Protektorat zu machen, ist müßig. Die Wahlen werden zeigen, daß dies eh unausweichlich ist – was auch wieder Sinn macht. Georg Baltissen
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