Vor dem Start des neuen Schuljahres: LehrerInnen verzweifelt gesucht
Kurz vor Schulbeginn fehlen noch mehr als 150 Lehrer, klagen Gewerkschaft und Elternverband. Senator Zöllner will das Problem kommende Woche lösen. Kritik an Sekundarschule weist Bildungsverwaltung zurück.
Wenige Tage vor Schulbeginn sind nach Schätzungen der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) und des Landeselternausschusses (LEA) zwischen 150 und 250 der Lehrstellen unbesetzt. "Das Problem muss angegangen werden", sagte GEW-Sprecherin Sigrid Baumgart am Freitag der taz. Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) bestätigte, dass es noch Handlungsbedarf gibt. Die freien Stellen sollten in der kommenden Woche besetzt werden.
370.270 SchülerInnen werden ab Montag in Berlin zur Schule gehen, das sind 2.233 weniger als im Vorjahr. Zugleich soll es mehr Lehrer geben: 26.118 statt wie bislang 25.822. Insgesamt sollen dieses Schuljahr 1.182 Stellen neu besetzt werden. Nur sind bis heute laut GEW mindestens 12 Prozent der neuen Stellen unbesetzt. Bildungssenator Zöllner geht zwar von weniger als 100 freien Stellen aus, bestätigte aber am Freitag, dass der Einstellungsprozess noch läuft. "Im Vergleich zum Vorjahr ist die Situation aber schon besser geworden", sagte er. Weil aber viele Lehrkräfte noch auf Antworten aus anderen Bundesländern warteten, sei das erst kommende Woche lösbar.
Günter Peiritsch, Sprecher des LEA, glaubt nicht an eine schnelle Behebung des Personalmangels: "Ich habe meine Zweifel, ob der Arbeitsmarkt diese Lücke an fachgerechten Pädagogen füllen kann." Bis 2020 werde es für Berliner Schulen Personalengpässe geben, prognostizierte er.
Kurz vor Schulbeginn tobt im Berliner Bezirk Mitte immer noch ein Streit um den Einschulungsbereich für Erstklässler. Das Bezirksamt Mitte legte am Freitag Beschwerde ein gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts ein, der den Eltern von fünf Erstklässlern einen Platz auf ihrer Wunschschule zusprach.
Vor gut einer Woche hatte das Gericht entschieden, dass die Klägerkinder ab 22. August vorläufig auf ihre Wunschschule im Einschulungsbereich Mitte gehen können. Die Richter begründeten ihre Eilentscheidung damit, dass der Schulweg sonst zu lang wäre und das Auswahlverfahren fehlerhaft gewesen sei. Das Verwaltungsgericht sah bei seiner Entscheidung auch keine Kapazitätsprobleme an den betroffenen Schulen, die Schüler zusätzlich aufzunehmen.
Dagegen habe Schulstadträtin Petra Schrader (Linke) am Freitag beim Oberverwaltungsgericht Beschwerde eingelegt, hieß es in einer Pressemitteilung. Nach ihrer Auffassung sei die bisherige Auslegung der Zumutbarkeit der Schulweglänge zu eng. "Wir wollen eine Grundsatzentscheidung", sagte Schrader. Ob das Gericht bis zum Schulbeginn für Erstklässler am 22. August eine Entscheidung trifft, ist offen. "Bei der Einschulungsfeier muss kein Kind auf der Straße stehen", so Schrader gegenüber der Nachrichtenagentur dpa.
Gregor Wichmann, der Rechtsanwalt einiger Eltern, sagte: "Der Bezirk will mit der Beschwerde klären, ob der Einschulungsbereich an sich rechtmäßig ist. Ihm geht es nicht darum, die Kinder wieder von der Schule zu nehmen." Alle fünf Schulkinder bekommen daher ihren vorläufigen Wunschplatz.
Wichmann hofft, dass sich die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes möglichst lange hinzieht. Denn je länger ein Kind auf einer Schule sei, desto weniger pädagogisch vertretbar werde es, es von dieser Schule zu nehmen. Gewöhnlich blieben die Kinder auf der Schule.
Der Bezirk Mitte hat acht Grundschulen rund um die Bernauer Straße zu einem gemeinsamen Einschulungsbereich zusammengelegt, um die Kapazitäten auszugleichen "Wir wollten den Eltern mehr Wahlmöglichkeiten geben", so Schrader, "in manchen Straßen haben wir mehr Kinder als Plätze, und eine Straße weiter ist es umgekehrt."
WEIXIN ZHA
Kritik äußerte Peiritsch auch an den inzwischen 118 Integrierten Sekundarschulen, die seit vorigem Schuljahr Haupt- und Realschulen vereinen. Während Zöllner von "einer positiven Umsetzung unter erschwerten Bedingungen" sprach, bezweifelte Peiritsch die integrativen Auswirkungen des neuen Systems. Eine Durchmischung der SchülerInnen in Hinsicht auf Leistung und Herkunft sei damit bisher nicht erreicht worden, sagte er der taz. Stattdessen führe das leistungsorientierte Auswahlprinzip dazu, dass stigmatisierte Restschulen in sozialen Brennpunkten übrig blieben: Beliebte Schulen würden nur leistungsstarke SchülerInnen annehmen, während jene mit schlechteren Noten an die verbleibenden Schulen vermittelt würden.
"Es gibt keine Restschulen", sagte dagegen Beate Stoffers, Sprecherin der Senatsverwaltung für Bildung. Schließlich gebe es noch das Losverfahren, mit dem 30 Prozent der Plätze an beliebten Schulen vergeben würden. Auch liege die Zahl der Klagen wegen des zugewiesenen Schulplatzes mit 143 nicht über denen der Vorjahre, so Stoffers. Das zeigt, dass das Problem "Kein Platz auf der Wunschschule" nicht so groß ist wie von manchen Medien dargestellt.
Weitere Defizite sieht Sabine Dübbers, Referentin für Bildung der GEW Berlin, bei der Integration. Während im vergangenen Schuljahr an Gymnasien bis zu 20,7 Prozent SchülerInnen mit nichtdeutscher Herkunftssprache unterrichtet wurden, waren es laut Bildungsverwaltung an den neuen Sekundarschulen 38,2 Prozent, an den rund 40 verbliebenen Hauptschulen sogar 47,2 Prozent. Die Sprachförderausstattung für SchülerInnen nichtdeutscher Herkunft sei zwar vom Senat mit mehr Geld unterstützt worden, reiche aber trotzdem nicht aus, kritisierte Dübbers. "Noch gravierender ist die Situation bei der gemeinsamen Erziehung von behinderten und nicht-behinderten SchülerInnen", erklärte sie. Hier sei der Bedarf in den letzten zehn Jahren etwa um das Doppelte gestiegen, ohne dass es zu einer wesentlichen Erhöhung der Lehrstellen gekommen sei.
Auch Zöllner sieht den Bereich Integration als zukünftige Baustelle. Den mit den Sekundarschulen erzielten Erfolg wolle man sich jedoch nicht nehmen lassen, sagte seine Sprecherin. Schließlich habe das zweigliedrige System inzwischen viele BefürworterInnen gefunden - unter ihnen Bildungsministerin Annette Schavan (CDU).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich