Vor dem Nato-Gipfel: Russland macht mobil
Angesichts der Aussicht der Ukraine und Georgiens auf eine Nato-Mitgliedschaft versteht es Russland geschickt, das alte und neue Europa zu spalten.
MOSKAU taz München steckt den Nato-Funktionären noch in den Knochen. Lautstark las Präsident Wladimir Putin dem Westen 2007 auf der Münchener Sicherheitskonferenz die Leviten. Der Kremlchef formulierte dabei, was längst zum Leitmotiv russischer Außenpolitik geworden war: die kontrollierte Konfrontation mit dem Westen. Derartige Grobheiten hat sich die Nato-Führung diesmal verbeten und der Kreml soll Wohlverhalten zugesichert haben.
Schon im Vorfeld des Gipfels waren sanftere Töne aus Moskau zu vernehmen. Nach anderthalb Jahren Blockade wurde der Flugverkehr mit dem Nato-Aspiranten Georgien wieder aufgenommen. Mit der Ukraine einigte sich Gazprom-Kreml auffallend leise über Gaslieferungen und Preise. Und zu guter Letzt lud der im Mai aus dem Amt scheidende Putin im Anschluss an die Tagung US-Präsident George Bush nach Sotschi zu einer Stippvisite ein. Dort, wird gemunkelt, könnte sogar ein neues strategisches Rahmenpapier unterzeichnet werden.
Doch das deutliche Eintreten von Bush und einigen östlichen Nato-Staaten für die Einbindung der Ukraine in den Aktionsplan für den Nato-Beitritt belastet das Verhältnis. "Voll und ganz" würde er einen entsprechenden Antrag befürworten, so Bush bei seinem Besuch des ukrainischen Präsidenten Wiktor Juschtschenko in Kiew.
Um Putins außenpolitisches Vermächtnis ist es nicht gut bestellt. Mit 11 von 17 Anrainerstaaten unterhält Moskau gespannte Beziehungen. Doch Putin hat auch Verbündete: Frankreich sowie die deutsche Kanzlerin und ihr Außenminister hintertreiben die Aufnahme der Ukraine und Georgiens in den Membership Action Plan (MAP).
Moskau zählt die beiden ehemaligen sowjetischen Republiken zum russischen Einflussbereich. Die Ukraine wird als eigentliche Wiege Russlands wahrgenommen, während das christliche Georgien Moskaus Vormachtstellung im Kaukasus seit 200 Jahren absicherte. Das Abdriften der beiden Staaten führt den Zerfall des russischen Imperiums vor Augen. Der geopolitischen Verwerfung folgte mit den bunten Revolutionen in Georgien (2003) und in der Ukraine (2004) auch eine Abkehr von jenem autoritären Herrschaftsmodell, für welches die Putin-Ära wieder steht. Auch wenn das Bündnis näher an die Grenzen Russlands heranrückt - für die Militärs ist die Nato keine ernste militärische Bedrohung. Eher ein Papiertiger, den der Kreml für innenpolitische Zwecke mal zerpflückt, mal in Brand steckt.
Niemand fürchtet sich vor dem Bündnis: Im Gegenteil, solange US-Soldaten in Georgien stehen, herrscht dort Frieden, und auch in Afghanistan erfüllt die Nato Aufgaben, die russischen Interessen dienen. Moskau quält einzig der Bedeutungsverlust. Und sein Kalkül bei der Verhinderung der Aufnahme von Georgien und der Ukraine scheint aufzugehen: So geschickt wie es die Interessen innerhalb der EU gegeneinander ausspielt, nutzt es die Widersprüche zwischen dem alten und neuen Europa und den USA.
Als Gegenleistung für eine Ablehnung der Ukraine lockt Moskau die Nato mit der Erlaubnis, Nachschub über russisches Territorium nach Afghanistan zu gestatten. Eine verantwortungsbewusste Weltmacht, die Russland zu sein vorgibt, müsste daran auch ohne Kuhhandel interessiert sein. Zumal die russische Südflanke schwach ist. Bleiben die Nato-Anwärter erst mal vor den Toren, kann Moskau dies als Sieg verbuchen. Mit Erpressung hat es immer wieder Erfolg. Hinter den Kreml-Mauern feixt und freut man sich über Steinmeiers gutgläubiges Appeasement. Deswegen nimmt Moskau die EU und Berlin auch nicht ernst. Konzessionen zu machen, auf den Kontrahenten zuzugehen, ist im russischen Verständnis ein Zeichen von Schwäche und europäischer Verweichlichung. Die Leute im Kreml verstehen sich mit den texanischen Cowboys in der Sprache der Realpolitik besser. Auch wenn Russland von einer "multipolaren Weltordnung" und "Respekt" in der internationalen Arena spricht, so gilt das ausnahmslos für den Respekt anderer Russland gegenüber, nicht umgekehrt.
In einem hat Moskau indes Recht. Es macht wenig Sinn, die Ukraine in die Nato zu integrieren, wenn nur 30 Prozent der Bevölkerung dies befürworten. In Georgien stimmten 70 Prozent für den Beitritt. Die Aussetzung des MAP- Programms sollte durch ein alternatives Modell ersetzt werden, das Kiew trotz allem an westliche Strukturen heranführt. Alles andere wäre ein falsches Signal. Die Integration der Ukraine in den Westen würde langfristig auch die Öffnung Russlands nach sich ziehen. Das möchte die politische Führung in Moskau gerade verhindern. Das Feindbild Nato wird im Innern gebraucht, um das eigene Volk weiterhin zu gängeln und nach Strich und Faden auszunehmen.