■ Vor dem Nato-Gipfel zur „Osterweiterung“ und strategischen Umorientierung in Brüssel: Zu kurz gegriffen
Würde in der Politik ehrlich gespielt, müßtem die Nato-Regierungschefs auf ihrem Brüsseler Gipfel den Russen Jelzin und Schirinowski öffentlich Dank sagen. Dafür, daß sie in den letzten Wochen die Rolle derer übernahmen, an denen die Aufnahme osteuropäischer Staaten in die Nato angeblich gescheitert ist. So ließ sich für die Öffentlichkeit in West wie Ost verdecken, daß zu keinem Zeitpunkt der noch bis zum Wochenende scheinbar kontroversen innerwestlichen Debatte um eine Mitgliedschaft der vier Visegrad-Staaten hierfür tatsächlich auch nur die Chance einer Mehrheit, geschweige denn eines Konsenses unter den 16 Altmitgliedern bestand.
Außer Bundesverteidigungsminister Rühe und Nato-Generalsekretär Wörner im Sommer/Herbst letzten Jahres hat sich in der Nato niemand ernsthaft dafür eingesetzt. Rühe wurde von Kohl und Kinkel zurückgepfiffen. Und der durch eine schwere Krankheit geschwächte Wörner mußte klein beigeben. Nicht zuletzt, damit er das Okay der Nato-Mitglieder erhält, seine Geschäfte bis zum Ende seiner Amtszeit weiterführen zu können. Aber Rühe und Wörner scheiterten auch deshalb, weil sie – ebenso wie Rüttgers und andere CDU-Politiker mit ihren Äußerungen der letzten Tage – bei ihren politischen Begründungen zu kurz griffen.
Eine Aufnahme lediglich der Visegrad-Länder und vielleicht noch der drei baltischen Republiken in die Nato hätte vielleicht deren Sicherheitsängste beruhigt und den Renationalisierungstrend in den Sicherheits- und Außenpolitiken dieser Staaten gestoppt. Doch diese sieben osteuropäischen Staaten in der Nato und Rußland, Ukraine, Bulgarien und Rumänien außen vor – das hätte zugleich den mit dem Jugoslawienkrieg ohnehin wiederaufgebrochenen politkulturellen-religiösen Konflikt zwischen katholisch-protestantischen und orthodoxen Ländern in Europa weiter verschärft. Kein noch so ausgeklügeltes System von Konsultationen und Beschwichtigungen hätte diesen Effekt verhindert.
Selbst ohne den Oktoberputsch in Moskau, durch dessen Niederschlagung die russische Armee ihren Einfluß auf Jelzins Politik stärkte, ohne den Wahlerfolg Schirinowskis und ohne die offenen Warnungen Jelzins wäre eine solch selektive Aufnahme das falsche Signal an Moskau gewesen. Die Frage eines kollektiven Sicherheitssystems für ganz Europa unter Einschluß aller Staaten und Territorien westlich des Ural wird auch nach diesem Nato-Gipfel auf der Tagesordnung stehen. Die KSZE, 1989 als Alternative zu den damals noch bestehenden Militärblöcken gefeiert und noch 1992 auf der Konferenz von Helsinki zu dem Instrument gesamteuropäischer Integration stilisiert, soll es nach dem überwiegenden Willen der westlichen Regierungen nicht sein. Ihre Rolle wird im Schlußkommuniqué des Nato-Gipfels noch weiter marginalisiert.
Keine zweite Sicherheitsinstitution in Europa neben der Nato, aber der Rest Europas darf auch nicht in die Nato – eine solche Politik geht an den Sicherheitsproblemen des Kontinents vorbei und wird scheitern. Zumal die 16 Regierungschefs mit ihren anstehenden Gipfelbeschlüssen zu Operationen der Nato außerhalb ihres Vertragsgebietes und zu „friedensunterstützenden Maßnahmen“ (peace support) die traditionelle Rolle der nordatlantischen Allianz als ein vorrangig den Interessen seiner Mitglieder verpflichtetes westliches Militärbündnis bekräftigt und damit den West-Ost-Graben in Europa verschärft haben. Andreas Zumach
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