Vor EU-Lateinamerika-Gipfel in Peru: Chávez rückt Merkel in Nähe Hitlers
Die Bundeskanzlerin ist noch nicht in Lateinamerika eingetroffen, da gibt es schon Ärger: Venezuelas Präsident Chávez attackierte Merkel als Nazi-Nachfolgerin.
Zum ersten Mal in ihrer Amtszeit besucht Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Lateinamerika - und schon gibt es Ärger. Der lauteste Staatschef, den die Region zu bieten hat, Venezuelas Präsident Hugo Chávez, nutzte seine Fernsehsendung "Aló Presidente", um Merkel vorzuwerfen, sie entstamme der gleichen Rechten, die auch Adolf Hitler und den Faschismus hervorgebracht habe. Zudem versuche sie, die lateinamerikanischen Ländern zur Distanzierung von Venezuela zu bewegen. Beim EU-Lateinamerika-Gipfel am Freitag in Perus Hauptstadt Lima werde es wohl Streit zwischen ihm und Merkel geben. In seiner Sendung fragte er provokativ, ob Merkel ihn dann wohl auffordern werde, "den Mund zu halten". Das hatte Spaniens König Juan Carlos letztes Jahr auf einem Gipfel in Chile getan, nachdem Chávez eine Rede des spanischen Regierungschefs Zapatero durch Zwischenrufe gestört hatte.
Merkel reagierte gelassen auf Chavez Äußerungen. Der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg erklärte: "Die Äußerungen von Präsident Chávez sprechen für sich."
So schrill der Ton, so berechtigt ist Chávez Vorwurf, die Kanzlerin versuche, die lateinamerikanischen Staaten auseinanderzudividieren und Venezuela an den Pranger zu stellen. So hat Merkel am Wochenende gegenüber der dpa gesagt, Chávez spreche nicht für Lateinamerika, im Übrigen sei der "linke Populismus" nicht zukunftsweisend: "Ich glaube nach unseren Erfahrungen nicht daran, dass Staatswirtschaften auf die drängenden Probleme bessere und nachhaltige Antworten geben."
Bei einer Veranstaltung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der Konrad-Adenauer-Stiftung und des Deutschen Industrie- und Handelskammertages letzte Woche hatten sich die deutschen Konservativen eindeutig positioniert. In der neuen Lateinamerika-Strategie der Fraktion heißt es, in Lateinamerika stünden sich "konservative und sozialdemokratische Regierungen (u. a. Chile, Kolumbien, Mexiko)" und "populistische Regierungen in Venezuela, Bolivien, Ecuador und Nicaragua" gegenüber. Gefragt sei daher ein "differenzierter ordnungspolitischer Dialog mit Lateinamerika" - eine Formulierung, die Chávez als Aufruf zur Spaltung versteht.
Merkels Programm bestätigt ihn: Neben dem Gipfelgastgeber Peru besucht sie Brasilien, Mexiko und Kolumbien - mit Ausnahme Brasiliens kein Land mit einer linken Regierung. Brasilien gilt der Union als gemäßigt sozialdemokratisch und - mit Mexiko - als in der Region strategisch einflussreich. Der Besuch in Kolumbien, bei der konservativsten Regierung Lateinamerikas, kann als Reaktion auf die Existenz der Chávez-Regierung in Venezuela gesehen werden.
Die große Koalition ist in ihrer Haltung gegenüber Lateinamerika uneins. Drei Tage vor der Union hatte auch die SPD in Berlin zu einer Lateinamerika-Konferenz geladen. Dort verkündete Parteichef Kurt Beck, die neuen Linksregierungen Lateinamerikas seien willkommene Partner der Sozialdemokraten. Außenminister Frank-Walter Steinmeier gar produzierte Schlagzeilen, indem er dazu aufrief, die vorsichtigen, unter Raúl Castro begonnen Reformen in Kuba nicht kleinzureden, sondern als Chance aufzufassen.
Immerhin, die hektischen Aktivitäten der Koalitionäre demonstrieren ein wiedererwachtes Interesse Deutschlands und Europas an Lateinamerika. Handelspolitisch kommt das allerdings zu spät: Längst muss etwa der Mercosur, der südamerikanische Binnenmarkt, nicht mehr abwarten, ob nach Jahren des Hinhaltens doch noch ein Abkommen mit der EU zustande kommt. Inzwischen hat China die einst der EU zugedachte Rolle einer Alternative zu den USA übernommen und übererfüllt. Ansätze wie der der Kanzlerin, wie zu Zeiten des Kalten Krieges die Beziehungen nach politischer Sympathie zu formen, dürften den Einfluss Deutschlands in Lateinamerika weiter schwinden lassen.
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