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■ Vor 40 Jahren fiel auf Kuba der Startschuß zur RevolutionDie Revolution der Konformisten

Tag für Tag wird der „Sturz Fidel Castros“ vertagt. Die Hartnäckigkeit des kubanischen Staatschefs interpretieren manche als Senilität, andere als Teil jener grandiosen Rolle, die er auf der großen Bühne der Geschichte spielt. Castro hatte – die Wahrheit gebietet, dies zu unterstreichen – für seine Herrschaft nie Todesschwadrone oder Konzentrationslager gebraucht. Seine Diktatur war patriarchalisch und populistisch, und die Verfassungswidrigkeit bewegte sich in einem intellektuellen Rahmen. Wer aufbegehrte und die Entscheidungen des Comandante in Frage stellte, wurde sozial geächtet oder zur Emigration gezwungen. Castros Prätorianergarde, die dennoch allgegenwärtige und zu fürchtende Staatssicherheit, hat in den allermeisten Fällen mit Samthandschuhen gearbeitet, und die meisten Toten ruhen auf dem Meeresgrund der Florida-Straße und nicht in „geheimen Friedhöfen“.

Das Geheimnis Castros – und wohl auch das der Langlebigkeit seines Regimes – basierte auf dem großzügig verteilten Zuckerbrot, das der sowjetischen Unterstützung zu verdanken war, und auf der Peitsche, die allerdings nur diejenigen zu spüren bekamen, die eigenes Handeln und Denken zur Schau stellten. Nicht den „neuen Menschen“ hat man damit in Kuba geschaffen, sondern den konformen Genossen, der vom Staat seine großen oder kleinen Pfründe erhält: ein ruhiges Pöstchen hier, eine kleine Auslandsreise dort, eine Wohnung, einen Kühlschrank. Es sind angepaßte Personen, ironischerweise geradezu das Gegenbild zu den rebellischen, aufbegehrenden Persönlichkeiten, die vor 40 Jahren – am 26. Juli 1953 – mit dem Sturm auf die Moncada- Kaserne den revolutionären Kampf begannen. Die kubanische Revolution wurde zu einer Revolution der Konformisten.

Protest wird gemurmelt, doch wenn Castro zu Kundgebungen ruft, folgt ihm „das Volk“ auch jetzt noch, als ob es den Preis dafür abbezahlt, es zugelassen zu haben, daß im Lande nur noch einer denkt – auch wenn dieser ein so außergewöhnlicher Mensch wie Fidel Castro ist, außergewöhnlich auch in seiner Fähigkeit, zu lügen, die eigenen Lügen zu glauben und die anderen von ihnen zu überzeugen.

Die gegenwärtige Krise erklärt Castro als eine „besondere Periode“. Dabei begann die „besondere“ Situation Kubas vor 30 Jahren, als die Sowjetunion anfing, die Regierung Castros massiv zu finanzieren. Auf einer solchen Basis ist es leicht, sich zum Bannerträger der Armen zu erklären. Viele Lateinamerikaner sehen in Kuba ein alternatives Modell zu der Situation in ihren Ländern, in denen die Unterentwicklung schneller voranschreitet als die Entwicklung. Es ist sträflich, diese Illusionen zu nähren. Auch die Kubaner wußten nicht, welch hohen Preis sie dafür später zu bezahlen haben würden.

Das Geschick Castros, sich in der Isolierung Kubas nach dem Zerfall der osteuropäischen Verbündeten an der Macht zu halten, erinnert in seltsamer Weise an Spaniens General Francisco Franco, der auch nicht vom Fall seiner deutschen und italienischen Paten mitgerissen wurde. Er blieb bis 1975 an der Macht, dem Jahr seines natürlichen Todes. Ein Detail am Rande: Franco blieb immer, über alle ideologischen Differenzen hinweg, Fidel Castro enger verbunden als jede andere Regierung Europas. Die Annäherungen zwischen Castro und dem rechten spanischen Politiker Fraga Iribarne, unter Franco Informationsminister, ließen in den vergangenen Jahren diese alte Verbindung neu anklingen.

Und in der Tat ähnelt die Herrschaft des kubanischen „Comandante en Jefe“ heute weniger den Bürokratien des real existierenden Sozialismus als vielmehr den klassischen Caudillo-Führern Lateinamerikas. Dazu gehören sowohl die ungeheuren mimetischen Fähigkeiten Castros wie auch das Hochhalten gleichsam inkaischer Strukturen: kollektives Eigentum, geringe Arbeitsteilung, die Dominanz mündlicher Kommunikation über schriftliche Fixierungen, die Unterordnung aller unter einen nicht zu hinterfragenden Halbgott.

Castro hat in seiner Laufbahn Mut bewiesen, und er hat Glück gehabt. Aber auch Castro ist ein Mensch, er muß seine Vorstellungen den neuen Bedingungen in der Welt anpassen, in der er nicht mehr das Patt der Supermächte für sich ausspielen kann. Er muß die Meinung anderer hören. Und er muß akzeptieren, daß auch andere als er Kuba regieren können, vielleicht sogar besser und vielleicht sogar ohne Diktatur. Posiert er statt dessen weiter für den großen Film der Geschichte, dann wird diese ihn nicht freisprechen, wie er nach dem gescheiterten Putsch auf die Moncada-Kaserne vor Gericht verkündete, sondern über ihn hinweggehen in einer Form, die Fidel Castro kaum angemessen finden wird.

Denn die Zahl der Konformen nimmt in dem Maße ab, in dem die Gaben und Privilegien schrumpfen, die der Staat seinen treuen Untertanen zuteilen kann. Die Zeit wird zeigen, ob diese dem in 33 Jahren anerzogenen „kollektiven Bewußtsein“ treu bleiben werden, dem Haß auf die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und anderen ideologischen Grundpfeilern des offiziellen Diskurses. Und um dies klarzustellen: Ich würde mir wünschen, daß ein Teil dieser Werte, die zum Make-up von Staatsveranstaltungen geworden sind, nicht nur als leere Heuchelei schnell auf dem Scheiterhaufen der Egoismen verbrannt werden. Doch die gegenwärtige Entwicklung deutet darauf hin. Kuba ist heute ein Land von Lilliputanern, die versuchen den Kopf einzuziehen, bis die große Welle vorüber ist. Die rebellischen Stimmen innerhalb der Revolution sind zum Verstummen gebracht. Und es steht zu fürchten, daß nur wenige der „verdienten Genossen“ die Ideale hochhalten werden, wenn die persönlichen Vorteile von anderer Seite locken.

José Marti, der große Held der kubanischen Unabhängigkeit, auf den sich Castro so oft beruft, hatte gesagt: „Kritik üben heißt lieben.“ In all den Jahren des Überflusses an Zuckerbrot ist in Kuba jeder Versuch von Kritik im Keim erstickt worden. Die Kubaner haben keine Möglichkeit gehabt, Alternativen zu hören, zwischen verschiedenen Optionen zu wählen. Die Wahl unter Castro war immer: Mit mir: Revolutionär – Zuckerbrot; gegen mich: Konterrevolutionär – Peitsche.

Immer mehr Kubaner beginnen zu zweifeln. Doch jede mögliche interne Alternative wird schon im Ansatz unterdrückt, und die externe politische Opposition zeigt wenig Reife in dieser Situation, in der es zuallererst gilt, ein schreckliches Blutbad zu vermeiden.

Der kubanischen Nation läßt dies zwei Möglichkeiten: entweder besteht das Regime fort, bis der Inka stirbt, um dann zu einer US- amerikanischen Halbkolonie im Stile Puerto Ricos zu werden; oder es beginnt ein wirklicher Veränderungsprozeß hin zu einem Rechtsstaat, der in der Welt von heute seinen Platz findet.

Eine freie Diskussion, eine öffentliche Debatte über Alternativen tut not. Das kubanische Volk, nicht nur die politische Führung, hat über Kubas Zukunft zu entscheiden. Und Mitsprache darin müssen alle Kubaner und Kubanerinnen haben: die, die gegangen sind, und die, die geblieben sind, die Konformen und die Nichtkonformen, diejenigen, die heute in Kuba über alle Lautsprecher verfügen, und die, die heute auf der Insel ohne Stimme sind. Pablo Quiroga

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