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Von wegen Schwerkraft

■ Tsui Harks Kampfballett „Wong fei hong" im Forum

Sergio Leones Meisterwerke Once Upon a Time in the West und Once Upon a Time in America standen Pate für einen der beiden Forums-Beiträge von Tsui Hark. Beide beschrieben einen historischen Umbruch. Ähnlich bei Hark: Wong Fei—hong muß hinnehmen, daß selbst ein Meister der „martial arts“ wenig ausrichten kann gegen die Gewehrkugeln westlicher Besatzer. Neben tödlichen Waffen importieren die ungebetenen Gäste seltsame Eigenarten. Marschierende Pfaffen im schwarzen Kittel gröhlen ihr „Hallelujah“ und treten in Wettstreit mit chinesischen Musikern. Die Umstehenden verstopfen sich angewidert die Ohren. Ein Wong- Jünger mit Amerika-Erfahrung stottert, wenn er sich seiner Muttersprache bedient, parliert aber eloquent im englischen Idiom. Der technische Fortschritt hält Einzug, alte Zöpfe werden — im Wortsinn — abgeschnitten. Aber Amerika, in Person dümmlich-militaristischer Besatzer präsent, ist nicht das Gelobte Land, als das es von gewissenlosen Schleppern beschrieben wird. Der rundäugige Oberschurke des Films wirbt chinesische Arbeitskräfte mit großartigen Versprechungen und lockt sie in die USA, wo sie wie Sklaven behandelt werden. Drastisch, ganz seinem Vorbild Leone verpflichtet, schildert der Regisseur ein Massaker der US-amerikanischen Soldaten an unbewaffneten Passanten.

Die Hark-Fans, die vor allem virtuose Kampfballette erwarten, werden nicht enttäuscht: Wenn Wong seinen Gegenspielern beweist, daß die Schwerkraft nur eine Erfindung kleingläubiger Physiker ist, wird er vom Publikum mit Szenenbeifall belohnt. Menschliche Körper kegeln durch- und umeinander, Gegenstände wirbeln durch die Luft und sausen im Cinemascope-Format über die Leinwand. Kuriose Kettenreaktionen, von sechs Kameraleuten ins Bild gerückt, halten die Geschichte in Gang; für die Untertitel bleibt kaum Zeit. Noch die ältesten Gags präsentiert Hark in so eleganter Aufbereitung, daß man ihm den Klamauk gerne verzeiht. Wie seine Helden mit Schweinefüßen, Schwertern und Schirmen, jongliert Hark mit den Klischees des Kampfkunstgenres, beschäftigt das übliche Typenensemble und schlägt dennoch überraschende Haken — nach einem harten Festivaltag mit reichlich Quasselstriptease und massig Problemfilmerei eine wahre Erbauung Harald Keller

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