piwik no script img

Von wegen Hoppelhoppel

■ Echo Revenge aus Berlin und Tribe 8 aus dem amerikanischen San Francisco kommen ins Kreuzberger SO 36

Narziß würde aus dem Staunen nicht mehr herauskommen, könnte er die ihm einst verfallene Nymphe Echo heute hören. Echo rächt sich: laut, funky, manchmal trashig — »Hipcore« nennen sie es selbst. Das Racheprojekt aus Berlin streut seine Widerhaken schon weit über die gleichnamige Band hinaus. Echo Revenge ist ein Projekt, ist Dia-Show und Bilder. Die Braut Jesu auf dem Konzertplakat jedenfalls scheint entzückt zu sein vom Bass-lastigen durcharrangierten Sound. Dyke-Power, die »straight« (hier gerade politisch nicht korrekt) daherkommt, bringen Tribe 8 aus San Francisco. Beim ersten Anhören, scheint es sich um ein neues Jello-Biafra-Projekt zu handeln: Bay-Area-Punkrock mit rollender, klarer Stimme, queer und dafür da, »der Lesbenkultur Stärke zu geben«. Daß die fünf Female Rockers L7 und die Lunachicks zu ihren Vorbildern zählen, wird hörbar beim ersten Gitarren-»Pling« und auf der Bühne sichtbar, wenn die ersten Sprünge kommen.

Was sie von anderen All-Girl- Bands (und auch von anderen Lesben in der Branche) unterscheidet, ist die Art, wie sie ihr Thema anschneiden. Tribe 8 beschreiben Dinge, die einer — im besten Sinne — selbstverorteten Ethnie eben so passieren: Power Boy, das Polizeilied, handelt von der Macht der Schwänze, die ihre Träger vom Nachdenken abhalten; ähnliches besingt Frat Pig, in dem es um die akademischen Schwanzträger geht. Deren neuester Nachbesäufnissport: Gruppenvergewaltigung. Es gibt auch Liebesgesänge, heißt es, aber die, so sagen Tribe 8 böse, handeln nicht davon, daß Frauenliebe so freundlich »wie Kräutertee« ist.

Zu alldem singt Vokalarbeiterin Lynn mit einer Stimme, die zwischen Lydia Lunch und Eartha Kitt liegt, reibeisenzart und sehr verboten: Sex Sex Sex — »The core of the people comes from sexuality«. Auch wenn ihre Dildo-Shows mehr auf Spaßhaben hindeuten als auf Ich-glaube-darüber-müssen-wir-mal-ernsthaft- Reden — diese fünf machen ernsthafte Musik. Das ist nicht hoppelhoppel; da ist mehr Bewußtsein drin, als draufsteht. Überhaupt wird sich Jello Biafra ärgern, daß er nicht auf ihr Konzert kommen darf: »he's too ‘straight‚« — leider. Annette Weber

Heute abend, 21 Uhr, im SO 36, Oranienstraße

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen