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: Von hier aus konnte man Berlin abschalten: Ein Buch über die Elektrifizierung der Stadt

Die Entwicklung der modernen Stadt ist ohne Elektrizität undenkbar. In Berlin kommt hinzu, dass auch die Erbauer der Stromversorgungsanlagen hier produzierten. AEG und Siemens&Halske hatten tausende Arbeiter. Schon um 1570 entstand der Begriff Elektrizität, nachdem der Engländer William Gilbert eine Spannung zwischen „positiven“ und „negativen“ Ladungen von Elementen festgestellt hatte. Ende des 18. Jahrhunderts erfand der Italiener Graf Alessandro Volta das Volt. Mit Erfindung der Glühbirne durch Edison 1880 setzte die Beleuchtung der Städte mit Strom ein.

In dem Buch „Berlin leuchtet“ wird die Geschichte der Elektrifizierung Berlins nachgezeichnet, mit vielen historischen Fotos die „Höhepunkte der Kraftwerksarchitektur“ rekonstruiert. Das Kraftwerk Charlottenburg, 1900 errichtet, kam auf Initiative der reichen Charlottenburger Bürger zustande, die es nicht okay fanden, dass plötzlich jedermann im Hellen über den Ku’damm spazieren konnte, währen die hochherrschaftlichen Wohnungen immer noch mit Gas auskommen mussten. Schon wenige Jahre nach Inbetriebnahme musste das Kraftwerk vergrößert werden. Die Aufnahmen aus der Zeit zeigen prächtige Maschinenhallen, die sich architektonisch nicht so recht entscheiden können: Bin ich eine Art Bahnhof oder doch eher eine Kirche – eine „Industriekathedrale“?

Was auf den Aufnahmen fast völlig fehlt, sind die Arbeiter des Lichts. Niemand schaufelt Kohlen, niemand wartet die riesenhaften Generatoren. So vermitteln die gekachelten, menschenleeren Hallen einen fast aseptischen Anblick. Ein Eindruck, der auch nicht durch kräftig rauchende und stinkende Schornsteine getrübt wird.

Architektonisch konnte man sich auch in den Zwanzigern noch nicht entscheiden. Bei Erweiterung des Kraftwerks Charlottenburg und Errichtung eines 30-kV-Schalthauses baute man 1927 eine Schaufassade aus rotem Backstein. Dieser hatte sich inzwischen durchgesetzt, vielleicht nahm man für die Stadtbahnbögen der Eisenbahn deshalb als Kontrast gelben Sandstein. Die Schaufassade jedenfalls erinnert vorwiegend an ein Wohnhaus mit allerdings blinden Fenstern – auch hiermit wurde die Funktion kaschiert. Hatte man Angst, die Bürger mit rein technisch geformten Fassaden zu erschrecken?

Der Strombedarf wuchs rasant. 1897 beschlossen die Straßenbahngesellschaften, ihre Pferde abzuschaffen, die Elektrifizierung der S-Bahn, die zunächst mit Dampf fuhr, sollte folgen. So errichtete die AEG 1899 das Kraftwerk Oberspree in Oberschöneweide. Zu dieser Zeit zählten Bezirke wie Weißensee, Wilmersdorf, Schöneberg und Tempelhof immer noch zu den nicht elektrifizierten. Was die industrielle Entwicklung hemmte.

Die Entwicklung der Kraftwerkstechnik schritt voran. Ab Mitte der Zwanzigerjahre befeuerte man die Öfen mit Kohlenstaub, wofür große Kohlenstaubmahlwerke errichtet wurden. Abermals gelang keine originäre Architektur. Diesmal lehnte man sich vorwiegend bei der schon vorangeschrittenen Geschäftshausarchitektur und beim Klassizismus an. Ganz hübsch und denn doch kraftwerkstypisch sind die scheinbar schwebenden Dächer über den Lüfterbauwerken der Mahlwerke. Toll ist ein Blick in eine Hauptschaltwarte 1927, wo Männer in Weiß mit Kapitänsmütze Herr über ganz viele Hebel und Anzeigen sind. Von hier aus konnte man Berlin abschalten. ANDREAS BECKER

Klaus Bürgel, Hans J. Cramer, Helmut Engel: „Berlin leuchtet“. Verlagshaus Braun, Berlin 2003, 112 S., 39,90 €