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Archiv-Artikel

Von der Rettung zur Bergung

In den Trümmern der Eishalle von Bad Reichenhall werden die letzten Toten geborgen. Angehörige sind traumatisiert und werden betreut. Münchens Oberbürgermeister will sorgfältigere Baugenehmigungen – und steht damit ziemlich alleine da

VON MAX HÄGLER

Es ist wohl nur noch eine Bergung und keine Rettung mehr. Obwohl die Verantwortlichen in Bad Reichenhall am Mittwoch immer wieder bekräftigen: „Wir geben die Hoffnung nicht auf.“ Beinahe zwei Tage ist es her, dass der letzte lebende Mensch aus den Trümmern der Eishalle gerettet wurde. „Das sind Glücksgefühle, die sind unbeschreiblich“, schildert Kreisbrandrat Rudi Zeif. Unterkühlt war die Fünfjährige, sonst nur leicht verletzt.

Doch seit Montagnacht sind viele Stunden vergangen und die Helfer von THW, Feuerwehr und Bundeswehr haben nur noch Leichen geborgen. 14 insgesamt, darunter sechs Mädchen und fünf Buben zwischen 9 und 15 Jahren. Eine Frau wurde am späten Mittwochnachmittag noch vermisst, aber auch wenn sich Bad Reichenhall an das Wort Hoffnung klammert, besteht kaum mehr eine Chance auf ein Überleben. „Wir wollten retten – und fanden Tote“, sagt Zeif. Gestern Vormittag waren es zwei Buben im Alter von 12 und 14 Jahren. Beide waren nach Angaben der Notärzte von schweren Gebäudeteilen getroffen worden und hatten keine Chance zu überleben. Schon Dienstagabend waren sie geortet, doch erst Spezialbagger konnten die 50 Zentimeter dicken Betonblöcke zerreißen, die über ihnen lagen.

Am Unfallort können die Ärzte nicht mehr helfen, gebraucht werden sie trotzdem. Im Krisen-Interventions-Zentrum in der nahe gelegenen Grund- und Hauptschule spielen sich erschütternde Szenen ab, sagen die Experten, die Mütter und Väter von Vermissten betreuen. Da seien die Eltern, die am Montag hilflos mit ansehen mussten, wie ihr Kind verschüttet wurde. Oder Großeltern, die sich nun bittere Vorwürfe machen, weil sie ihrem Enkelkind Schlittschuhe zu Weihnachten geschenkt haben. Auf dem Rathausplatz suchen die Menschen Trost. In den Abendstunden kommen sie zusammen, um im Schein ihrer Kerzen die Trauer zu teilen.

Unterdessen beginnt in dem Kurort die Suche nach der Ursache. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen fahrlässiger Tötung, beschlagnahmt Unterlagen und lässt Gebäudeträger registrieren, um das Unglück rekonstruieren zu können.

Damit solche Katastrophen nicht mehr passieren, fordert als erster Politiker Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) eine Art Bau-TÜV: „Wir brauchen, wenn es um den Schutz von Leib und Leben geht, eher mehr Kontrollen, gründlichere Genehmigungsverfahren, amtliche Statiküberprüfungen und nicht eine permanente Deregulierung, die es dann am Ende fast dem Zufall überlässt, ob alles hält oder nicht.“

Allerdings ist Städtetagspräsident Ude mit seinen Forderungen nach staatlicher Kontrolle auch nach der Gebäudeerrichtung ziemlich allein. Obwohl sich die Anzeichen verdichten, dass in Bad Reichenhall kein Konstruktionsfehler, sondern eine Materialermüdung die Ursache war. Der Bund verweist in Sachen Gebäudesicherheit jedoch auf die Zuständigkeit der Länder und die Länder wiederum auf die Eigenverantwortlichkeit der Bauherren. Die kennen schließlich ihre Gebäude am besten, heißt es etwa aus dem bayerischen Innenministerium.

„Man bewegt sich immer weiter weg von der Schadensprävention zur Schadensregulierung und beschäftigt lieber im Nachgang Gerichte und Versicherungen“, kritisiert der Präsident der Bundesvereinigung der Prüfingenieure für Bautechnik, Hans-Peter Andrä. Die Frage nach der Sicherheit werde heutzutage von Kaufleuten und Juristen entschieden. Im Idealfall von Kaufleuten. In Bad Reichenhall werden es Juristen sein.

(MIT AP, DPA)