: Von der Ohnmacht der Bilder
Subversiver Reiz der Medienpiraterie: Die Collage „Faites vos jeux“ von der Kieler Filmgruppe Chaos und der AKAS-Crew aus Bremen im Lichtmeß
Im visuellen Overkill der Berichterstattung über die Ereignisse am 11. September 2001 hat die Diskussion um die ideologischen Konsequenzen einer Grammatik der Bilder ein neues Paradigma gefunden. Im Mittelpunkt dieser Debatte stand die Frage, ob sich die Objektivität der Bilder in den Fernsehnachrichten durch ihre endlose Wiederholung auf mehr als drei Dutzend Kanälen in ein weißes Rauschen völliger Informationsleere verwandelt. Oder ob in Anbetracht unzähliger filmischer Vorlagen zum Anschlag auf das WTC nicht sogar von einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung der westlichen Kulturindustrie gesprochen werden muss.
Einen geradezu lehrstückhaften Beitrag zum mittlerweile bereits wieder verebbenden Thema liefert der 90-minütige Experimentalfilm Faites vos jeux, der von der Kieler Filmgruppe Chaos und der Crew AKAS („Alles könnte anders sein“) aus Bremen produziert wurde und in Anwesenheit der Filmemacher im Lichtmeß gezeigt wird.
Die als „Film ohne Kamera“ untertitelte Collage, eine Art visuelles Palimpsest, fasst denkbar unterschiedliches Bildmaterial aus den vergangenen 30 Jahren in einem überdimensionalen Videoclip zusammen und setzt die Fundsachen in ein bewusst provozierendes Verhältnis: Rudi Carell begegnet Andreas Baader und Gudrun Enslin, Hanns-Martin Schleyer trifft auf Osama Bin Laden, Aufnahmen deutscher Kleinbürgeridylle sind gerahmt von Bildern der Kriegsberichterstattung und den Auseinandersetzungen beim Besuch Ronald Reagans in Bonn und Berlin.
Der Filmpiraterie mit ihrem subversiven Reiz, dem die Idee zu diesem Film zu verdanken ist, gelang es durch die politisch motivierte Kunst der Bilderkombination, auf ein prinzipielles Problem der visuellen Wiedergabe von „Realität“ aufmerksam zu machen. Der Literaturwissenschaftler Paul de Man hat wiederholt darauf hingewiesen, dass ein Prozess der Dekonstruktion eintritt, wenn die formale Darstellung eines Sachverhaltes mit seinem Inhalt in einen unauflösbaren Widerspruch gerät.
In der zunehmenden Steigerung dieses zerstörerischen Effekts besteht der anarchistische Witz von Faites vos jeux. Indem Bilder von Crash-Tests mit Szenen aus David Cronenbergs gleichnamigem Film verkoppelt, Bilder von der ach so erfolgreichen Operation „Enduring Freedom“ in Afghanistan mit Filmstills aus dem dort handelnden Hollywood-Erbauungsstreifen Rambo III vermengt werden und die einstürzenden Twin Towers in der Schlusssequenz von Fight Club erscheinen, ist die Unterscheidung von Fiktion und Realität ad absurdum geführt und die Ohnmacht der Bilder besiegelt.
Dieser Angriff auf die verlogene Unmittelbarkeit, mit der viele der verwendeten Bilder durch die Nachrichtensendungen gegeistert sind, wird noch verstärkt durch die Bearbeitung dieser Montage mit Messern, Skalpellen, Chemikalien und Filzstiften. Der dadurch zuweilen entstehende trashige Charakter dieser stilisierten Bilderwelt entlässt den Zuschauer mit einem skeptischen Imperativ in die weitgehend medial vermittelte „Wirklichkeit“: Traue niemals einer Filmaufnahme, auch wenn sie noch so überzeugend erscheint. Matthias Seeberg
in Anwesenheit der Filmemacher: Do, 20 Uhr, Lichtmeß, Gaußstraße