Von der Antifa zum Frauenkampfsport: Wie ich zum Sportlover wurde
Sport kann eine Qual sein. Er bietet aber auch eine Chance zur Selbstermächtigung, meint unsere Autorin.
Z wei Stunden habe ich gestern im Fitnessstudio verbracht, heute vor allem Muskelkater in der Beinrückseite. Der Großteil meiner freien Zeit besteht aus Bewegung. Ich liebe Sport. Schwitzen. Den Puls im Hals spüren. Flexen.
Tendenziell ein unsympathischer Anfang. Ich glaube, dass viele Menschen, darunter auch ich, noch offene Wunden vom Sportunterricht tragen und seither Bewegung und Angst miteinander verknüpfen. Ich wurde damals immer zuletzt ins Team gewählt und bin mit Bauchschmerzen in der Umkleidekabine zusammengebrochen.
Wie ich also zu so einem Sportlover geworden bin, ist eher untypisch. Als ich nach meinem Abschluss in die nächstgrößere Stadt zog, war ich in der politischen Szene aktiv. Da hab ich auf die harte Tour lernen müssen, dass es sich ohne Ausdauer nicht gut vor der Polizei wegrennen lässt.
Die ganzen Antifa-Boys haben nicht mehr aufgehört, von Straßenkampf zu reden – und ich hab' gecheckt, dass ich mich bewegen muss, um hier irgendwie mithalten zu können. Aber die Auswahl der Orte, an denen Sport nicht mit Körperfixierung und Leistung verknüpft war, war gering.
Es kam natürlich nie zu Straßenkämpfen. Meine ersten Annäherungsversuche an Bewegung waren dennoch selbstorganisierte Kampfsportgruppen. Dort wurde Rücksicht auf unterschiedliche Fitnesslevel genommen, was mir half. Aber: Nach einem halben Jahr löste sich die Gruppe auf. Und ich musste mir einen neuen Ort suchen, um Sport machen zu können.
Also wurden Leipzigs Sportstudios mein Spielfeld. Alles, was ein Probetraining anbot, wurde getestet: Brazilian Jiu-Jitsu, Schwimmen, Rennradfahren, Joggen. Jede Woche etwas Neues. Kein Fokus, kein Ziel. Hauptsache, bewegen.
„Push, push, push“
Etwas später habe ich mich in einem Fitnessstudio angemeldet. Das ist die absolute Hölle, wenn man eigentlich nach einem sicheren Raum sucht, um wieder Freude am Sport zu finden. An jedem Spiegel steht: „Heute für deine Bestform“. Oder „Push, push, push“. Ich muss mich aktiv gegen diese Self-Improvement-Mentalität wehren, dagegen, dass ich nicht gut genug bin.
Es gibt andere Orte, an denen es leichter fällt, die Bewegung an sich in den Vordergrund zu rücken. Zum Beispiel im Sidekick, einem feministischen Kampfsportverein im Leipziger Westen. Der Kontrast zu anderen Sportstudios ist direkt zu Beginn spürbar: Es gibt Eincheckrunden – das bedeutet, am Anfang vom Training wird gefragt: Wie geht es dir und was brauchst du heute für das Training – ein sensibler Umgang mit Diskriminierung und Raum für unterschiedliche Motivationen: Sich auspowern. Auf Turniere hintrainieren. Oder eben die Freude am Sport wiederfinden.
Im Januar lese ich in einer Zeitschrift: Im Montessori-Schulzentrum in Leipzig erhalten die Fünftklässler in diesem Schuljahr keine Noten mehr im Sportunterricht. Körpergefühl, Kooperation und persönliche Fortschritte stehen im Fokus.
Grenzen überschreiten
Sport ist die höchste Form der Ambivalenz. Er kann ein Instrument sein, um mich selbst zu spüren, aber auch, um den Körper zu zerstören. Sport hilft, meine Gefühle zu regulieren. Meine Grenzen herauszufinden und sie auch ab und an zu überschreiten. Sport tue ich für mich und doch vergleiche ich mich ständig. Sport setzt mich stets unter Leistungsdruck. Ich bin mir oft nicht sicher, ob ich gegen oder für meinen Körper arbeite.
Dass ich jetzt viermal die Woche Sport mache, hätte mir das Kind mit den Bauchschmerzen in der Umkleide nie geglaubt. Und nun hole ich mir diesen Raum zurück. Weil ich es brauche, um mich angesichts politischer Zustände nicht machtlos zu fühlen.
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