: Von der Andersartigkeit der Frauen
Das Sportprogramm der CDU zur Wahl füllt zwar zehn Kapitel, 72 Unterkapitel und 84 Seiten, viele Fragen zu Stärken und Schwächen der sportlichen Menschen bleiben trotzdem unbeantwortet ■ Von Jürgen Schwark
Die „hohe gesellschaftliche Bedeutung“ des Sports hat die CDU rechtzeitig zur Bundestagswahl erkannt und ihr 84seitiges Sportprogramm verabschiedet. In 10 Kapiteln plus Grundsätzen und Perspektiven sowie 72 Unterkapiteln führen die Sportexperten den Beweis, daß es zu jedem Unterpunkt auch eine christlich-demokratische Sportposition geben kann.
Erste Irritationen entstehen in Bezug auf den seit Jahrzehnten verkündeten Grundsatz „Sport für alle“. Im Sportprogramm heißt es: „Möglichst vielen Bürgern muß der Zugang zu den vielfältigsten Formen des Sports eröffnet werden.“
Es dürfte plausibel sein, daß nicht alle Bürger Sport treiben wollen, obwohl der Wunsch nach sportlicher Betätigung sehr hoch ausgeprägt ist. Dennoch spricht nichts dagegen, allen Bürgern den Zugang zum Sport zu eröffnen und nicht nur vielen.
Im Kapitel „Sport in Erziehung und Bildung“ liest man in den schulsportlichen Ausführungen: „Die CDU bekennt sich zum Leistungsprinzip in der Gesellschaft, meint aber im Schulsport nicht die absoluten (Höchst-)Leistung, sondern die relative Leistung, die jeder nach seinen Anlagen und Möglichkeiten erbringen kann.“
Die konkreten Forderungen der Union lesen sich dann aber wie ein Loblied auf den Internatsbetrieb östlicher Prägung:
— Trainingsmöglichkeiten in der Schule zur Wettkampfvorbereitung schaffen,
— Bundesjugendspiele und „Jugend trainiert für Olympia“ weiterentwickeln,
— Sportwettkämpfe für verschiedene Leistungsstufen anbieten,
— Kurse für Leistungsabzeichen,
— Wettkämpfe bei Schulfahrten und im Jugendaustausch.
Sportler, Normale und geschädigte Menschen
Keinen Eingang finden Überlegungen wie sie die Sportjugend Nordrhein-Westfalen in ihrer Konzeption „Breitensport für Kinder und Jugendliche“ vorgelegt hat und darin auch interessante Anregungen für den Schulsport anbietet. Für die „leistungsschwächeren“ Schüler sieht das CDU-Programm ein adäquates Betätigungsfeld vor: „Schüler mit geringeren sportlichen Leistungen sollen ihre Chance auch im Sportverein erhalten und intensiv gefördert werden.“
Hinsichtlich der körperlichen Leistungsfähigkeit unterscheidet die CDU ohnehin drei Sorten Mensch: „Hochleistungssportler, durchschnittlich leistungsfähige Menschen und Menschen mit Schwächen, Schäden und Fehlern im körperlichen Bereich.“ Zusätzlich gibt es noch Rand-, Sonder- und spezielle Zielgruppen, die aufgrund des „Fehlverhaltens von Menschen, gesellschaftlicher Mängel“ oder „nationaler und internationaler Entwicklungen“ entstehen. Benannt werden hier Aussiedler, Ausländer und Strafgefangene!
Den ausländischen Mitbürgern wird durch die CDU eine besondere Aufmerksamkeit zuteil: „Es ist sinnvoll, spezielle kulturelle Bewegungs-, Spiel- und Sportformen der ausländischen Mitbürger zu erhalten und zu pflegen.“ Im Rahmen ihrer sportlichen Entwicklungshilfe geht die CDU sogar soweit, bei der Entwicklung von Sportformen zu helfen, „die den Ländern der Südhälfte in ihren soziokulturellen Bedingungen besser entsprechen.“
Auch wenn den Sportausschuß- Mitgliedern beste Absichten unterstellt werden, täuschen die Ausführungen nicht über eine gewisse Überheblichkeit, teilweise Arroganz hinweg.
Besondere Sportformen soll es auch für Frauen geben. Ihnen wurde, in weiser Voraussicht des einsetzenden Protestes, ein eigenes Kapitel „Frau und Sport“ zugeteilt. Was an leistungssportlichem Denken im Schulsport überzogen wurde, wird nunmehr für die Frauen in das Gegenteil verkehrt.
Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn im Sport die Erfolgsorientierung nicht (immer) als das zentrale Motiv angelegt ist. Dies jedoch speziell auf Frauen auszuweiten, bekommt schnell den Charakter des „Dabeisein ist alles — den Erfolg überlassen wir den Männern!“
Schwangere, Mütter und verfolgte Frauen
Es mag sich im traditionell christlichen Glauben noch die alttestamentarische Vorstellungsweise halten, daß die Frau ursprünglich aus der Rippe des Mannes „geformt“ wurde. Den Mann aber als Bezugs- bzw. Normgröße für die Frau zun nehmen und damit ihre „Andersartigkeit“ zu begründen, ist in einem Sportprogramm — selbst einer christlichen Partei — völlig verfehlt.
Grundsätzlich unterbreitet die CDU zwar Männern und Frauen gleichartige Angebote, doch „aufgrund der naturbedingten Andersartigkeit der Frau“ gilt es, spezielle Sportangebote bereitzustellen. Sie beinhalten Gymnastikprogramme für schwangere Frauen, Mutter-und- Kind-Turnen und Selbstverteidigungsarten für Frauen als Antwort auf die vielfältigen Gefahren in der Gesellschaft und zur „Stärkung von Selbstwertgefühl und Eigenverantwortung.“
An einigen Stellen wird der Diskussionsstand der 60er und 70er Jahre aufgegriffen und trägt somit zu überholten und veralteten Aussagen bei: „Die in der jüngsten Vergangenheit auftretenden Fälle von Aggression und Gewalt im Sport...“ — Sport und Gewalt sind nun wirklich kein historisch neues Problem.
Es werden dem Sport von vornherein völkerverständigende, friedensstiftende oder integrative Kräfte zugeschrieben. Eine genauere Betrachtung der historischen und aktuellen Wirklichkeit zeigt, daß über den Sport auch das genaue Gegenteil erreicht werden kann.
Theoretiker, Politiker und alternative CDUler
Ein weiterer Kritikpunkt ist die mangelnde Dokumentation sportpolitischer Positionen. Begründungen fehlen und damit auch Ansätze, positive Wirkungen für den Sport und für Betroffene zu erreichen. Die unkonkret gehaltenen Aussagen bilden letztlich eine zu enge, isolierte Sichtweise und verbleiben damit an der Oberfläche der Probleme.
Die Proportionen einzelner Teilbereiche sind ein weiteres Indiz für die ihnen beigemessene Bedeutung. Der Breitensport bekommt sechs Seiten, der Sport am Arbeitsplatz eine halbe, der Spitzensport aber ganze zwölf Blätter.
Sowohl die einleitenden Textpassagen als auch die Zielsetzungen sind in sehr unverbindlicher Form gehalten und somit verschieden interpretierbar — immer gemäß den späteren politischen Erfordernissen. Die Ausführungen sind mit Appellen und Zweideutigkeiten versehen und bieten keine Gewähr für nachträgliche Einforderungen.
Schließlich liegt dem Sportprogramm ein reduziertes Sportbild zugrunde trotz aller Feingliedrigkeit der Inhaltsübersicht. Der Leistungssport steht eindeutig im Vordergrund. Der Bereich der alternativen Bewegungskultur findet keinen Eingang — aber mit Alternativen hat sich die CDU ja schon immer schwer getan.
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