■ Grüße aus Göteborg: Von den Leistungsmeyern
Helmut Digel geht jeden Tag ins Athletendorf. Auch gestern hat der DLV-Präsident dort vorbeigeguckt. Und? Festgestellt, daß „man im Dorf guter Stimmung ist“. Das ist schön. Andererseits stößt es auf Mißtrauen. Wie können die es wagen? Leistungschefdiagnostiker Frank Hensel hatte zehn Medaillen versprochen, sein Vorgänger Meyer noch mehr prognostiziert. Und nu? Haben nicht nur die USA und Rußland mehr, sondern auch Italien, Weißrußland, Kanada und die Bahamas. Und da haben all die kleinen Leistungs- Meyer Aufstellung genommen und dem Präsidenten erzählt, wer alles versagt habe.
Der sehr weltliche Professor aus Darmstadt aber fragt: „Was ist eigentlich Dramatisches passiert?“ Es ist nicht so, daß der Soziologe nicht all die Probleme sähe, die sich auftun, und die die Sportart Leichtathletik generell betreffen. Aber er bittet die Medaillen-Mathematiker, noch ein bißchen mit dem Prügeln zu warten. Und tatsächlich wird Aufschub erteilt, weil die vermeintliche Gold-Bank Lars Riedel gestern an der Schwelle zum Ausscheiden, mit dem letzten Wurf doch noch klar das Finale am Freitag erreicht hat. „Wenn Heike Drechsler gewonnen hätte“, sagt Digel, „wären alle gekommen und hätten gesagt: Deutschland!“ Das, sagt Digel, „finde ich immer sehr komisch.“
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Der Professor verweist im übrigen auf Nico Motchebon, (4. über 800 m) und Stephane Franke, dessen Platz 7 über die 10.000 eine „sensationelle Leistung“ sei. Franke lief persönliche Bestleistung (27:48,88 Min.), war bester Weißer und bester Europäer. Doch hatte er nach sechs Kilometern die Führenden laufen lassen müssen, „sonst hätte es passieren können, daß es mich ganz zerbröselt“.
Vorne lieferten der Weltrekordler Haile Gebresilasie, die Marokkaner Skah und Hissou sowie die Kenianer Tergat, Machula und Kimani ein „Feuerwerk“, wie der dahinterkeuchende Franke beobachtete. „Ich fürchtete, die Kenianer würden taktisch laufen“, sagte Sieger Gebresilasie (22), „doch sie taten es nicht.“ Wollten sie schon, sagte Khalid Skah (28), der Silbermedaillengewinner, „aber das Rennen war einfach zu schnell“. Und Sieger Gebresilasie sagte: „Ich dachte, daß Rennen würde schnell. Aber das war es nicht.“ Der freundliche, 1,60 m große Nicht-Automobilist muß nun schon den zweiten Mercedes in die Garage stellen. „Ich“, sagt der Mann mit Vorbildcharakter, „werde nicht damit fahren.“ -pu-
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