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Von Stasi und Puppen-Mord

■ Ostberliner Autorin stellt heute in Bremen Polit-Krimi vor

Die DDR kurz vor ihrem Untergang und skrupellose Stasi-Bosse, die versuchen, ihre Pfründe in den Kapitalismus hinüber zu retten – das ist der Hintergrund, vor dem die Ostberlinerin Dagmar Scharsich ihren spannenden Krimi „Die gefrorene Charlotte“ schrieb. Sie stellt ihn heute in der Buchhandlung Orlando vor.

Die etwas langsame und unscheinbare Bibliothekarin Cora Ost ist die Anti-Heldin der Wende-Geschichte. Wenn es nach ihr ginge, könnte das Leben genauso grau und ereignislos weitergehen wie bisher. Doch Tante Johanna hinterläßt der vom Leben ständig überforderten Cora eine Puppensammlung, die ein Vermögen wert ist.

Als sei das nicht schon Aufregung genug, findet Cora im Nachlaß ihrer Tante auch noch einen erpresserischen Steuerbescheid: 289.532 Mark will der Arbeiter- und Bauernstaat für die antiquarischen Puppen kassieren. Wer nicht zahlt, dem droht die Pfändung. Schon bald wird Cora Ost von Devisenjägern umworben; ein eleganter Dr. Brendel verspricht, ihr Leben wieder in Ordnung zu bringen. Daß er zur Stasi gehört, sehen alle, nur unsere Heldin nicht. Ausgerechnet jetzt setzt sich Coras beste Freundin über Ungarn in den Westen ab und läßt sie mit all den Puppen, den Sorgen und den Unruhen auf der Straße allein. Und dann geschieht auch noch ein Mord.

Das private Drama der Cora Ost ist gleichzeitig eine gelungene Momentaufnahme der Wochen vor dem politischen Umbruch. Glaubwürdig auch deshalb, weil die Autorin ihre Figuren nicht mit moralischem Zeigefinger oder vorausschauender Klugheit ausgestattet hat. Und so ganz en passant können die Wessis noch mancherlei über den ehemaligen DDR-Alltag und die ostdeutsche Sprache erfahren: Zwanzigpfennigstücke werden da ausgegeben, Doppelläufer entdeckt, Goldbrand-Schnaps runtergekippt, Zweiraumwohnungen betreten oder Juwel-Zigaretten angezündet.

Erfreulich zudem, daß es der Ariadne Krimi-Reihe nach vielen Fehlgriffen gelungen ist, einen nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich anspruchsvollen Krimi herauszugeben. Sogar die Anleitung zum feministischen Krimilesen, die uns in den letzten Ausgaben in Form eines Nachwortes zugemutet wurde, bleibt den LeserInnen dieses Mal erspart. Alles in allem ein unverzichtbarer Leseschmaus. Silke Mertins

Dagmar Scharsich:„Die Gefrorene Charlotte“, Ariadne-Krimi, 439 S., 17 Mark

Lesung und Diskussion mit der Autorin heute um 19.30 Uhr in der Buchhandlung Orlando, Contrescarpe 45

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