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■ Von Niemalsland nach Gnadenland: Die Mega-Ehe des Mega-Stars Michael Jackson mit der Mega-Erbin und Elvis-Tochter Lisa MarieGuter, sauberer Sex

Guter, sauberer Sex

„Graceland“, war im Fernsehen zu lesen, in geschnörkelten Buchstaben vorne auf dem Rednerpult, an dem Lisa Marie Presley, die Tochter von Elvis und Priscilla Presley, ihre schon vor elf Wochen geschlossene Hochzeit mit Michael Jackson endlich bestätigte. Im Rahmen der Pressekonferenz wirkte das nicht nur wie Name und Logo des pompösen Landsitzes, den der „King“ sich damals für seine lange, ruinöse Flucht vor dem Ruhm erstanden hatte; es hatte auch etwas von einem symbolischen Kommentar: „Graceland“ – für den in der öffentlichen Meinung arg beschädigten Michael Jackson muß das wie eine Erlösung gewirkt haben: ein wortgewordenes Zeichen für die Gnade der späten Heterosexualität.

Geäußert hat er sich bislang nicht dazu. Kein Kommentar aus „Neverland“, dem elf Quadratkilometer großen Wohnpark, in dem Jackson mit Bubbles, dem Affen, Muscles, der Boa, und Louis, dem Lama, sowie vielen, vielen Kindern einem oft erzählten Popmärchen der Achtziger zufolge glückliche Tage verbracht haben soll. Nur der Pressesprecher, Bob Jones, gab ein knappes Statement. Michael sei „very happy – wie jeder frisch Verheiratete“.

Was wären wortreiche Beteuerungen für den Beschuldigten auch wert gewesen? Die öffentliche Erklärung der heterosexuellen Liebe, die Gründung und Beglaubigung bereinigter Verhältnisse fällt in diesem Fall eindeutig Lisa Marie zu, die ihre Rolle als Ikone der bürgerlichen Ehe nicht eben unsouverän vorführt: „Ich bin sehr verliebt in Michael“, lauten die Glitzerworte, „ich widme mein Leben der Aufgabe, seine Frau zu sein. Ich verstehe und unterstütze ihn. Wir beide wollen eine Familie gründen und ein glückliches, gesundes Leben zusammen führen.“ Im Klartext heißt diese seltsame Vereinigung von Graceland und Neverland: Kein Wort mehr von Schweinereien, Leute, dies hier ist guter, sauberer Sex.

Jacko, das Fabelwesen des Moonwalk-Tanzes

So ändern sich nicht nur die Menschen, so verdunsten auch die Zeiten. Sex – mit so etwas Profanem hätte noch in den achtziger Jahren niemand Michael Jackson in Verbindung gebracht. Jacko, der Kindmann mit dem niedlichen Namen, war ein idealer Moderator aller Körpersprachen, die vor langer Zeit einmal in unreineren Kontexten der „Straße“ entstanden sein mochten, hier aber ins Jugendfreie übertragen wurden von einem Püppchengenie mit der erotischen Ausstrahlung eines Pinocchio. Selbst die berühmteste Jackson- Geste – der Griff an den Sack mit anschließendem Beckenstoß – war nicht mehr als ein harmloses Sex- Karaoke, das 10jährige unter den milden Augen ihrer simulationsgewohnten Mütter auf Kindergeburtstagen nachahmten. „Die heutigen Kinder haben keine Blockaden hinsichtlich einer Mestizengesellschaft“, schrieb Jean Baudrillard damals, „sie ist ihr Universum, und Michael Jackson nimmt nur vorweg, was sie sich als ideale Zukunft erträumen.“

Zu dieser human fiction gehörten Jackos abgezirkelte Stirnlocke, sein Moonwalk-Tanz, seine Phantom-der-Oper-haften Gesichtsoperationen, die ihn erstaunlicherweise weniger zu einem Monster machten als zu einem Fabelwesen, einem unschuldigen und reinen Kind, „das besser als Christus über die Welt regieren und sie versöhnen kann, da es besser ist als ein Gotteskind: ein Prothesenkind, ein Embryo aller erträumten Mutationsformen, die uns von der Rasse und dem Geschlecht erlösen“.

Der grandiose Sound dieser baudrillardschen Prophetenworte ist etwa zur selben Zeit unmodern geworden, zu der Jackson in Verdacht geriet, den damals 13jährigen Jordan Chandler, eines der vielen Kinder, mit denen er Pyjamaparties zu veranstalten pflegte, sexuell mißbraucht zu haben. Die Umstände sind nie geklärt worden, und der Prozeß endete im vergangenen Jahr ohne Schuldspruch – in einem Vergleich mit den offenbar an Geld nicht uninteressierten Eltern.

Das Ende der Androgynität der achtziger Jahre

Bloß die Jackson-Imago, die Selbstinszenierung eines asexuellen Androiden, hat sich von diesem Skandal nicht wieder erholt. Der 15 bis 20 Millionen Dollar schwere Werbevertrag mit Pepsi platzte, die Plattenverkäufe sanken, und immer wieder drangen Meldungen durch die Agenturen, Jackson habe sein Genital anthropometrischen Untersuchungen unterziehen lassen müssen – als handle es sich dabei um das Phantombild einer arglistigen Täuschung, als müsse die Öffentlichkeit von Art und Beschaffenheit dieses Geschlechts unter allen Umständen unterrichtet werden; einem Mann, der sein Gesicht ändert, ist schließlich alles zuzutrauen.

Jacksons finale Heirat bedeutet in diesem Zusammenhang mehr als nur eine Demutsgeste, die Einkehr eines sympathischen, aber ängstlichen Pop-Strebers bei der öffentlichen Moral; sie zeigt noch einmal am Beispiel populärer Kultur, in der ja immer zugleich Fragen des gesellschaftlich Möglichen verhandelt werden, daß die achtziger Jahre endgültig vorbei sind. Die bedeutenderen Rollenmodelle im Pop von heute sind geschlechtlich wenig ambivalente Typen. „Authentizität“ ist wieder zur gefragten Ware geworden, und die Rolling Stones feiern Revival. Der Gender Bender dagegen, der Überläufer des Geschlechts, taugt nicht mehr zur Definition eines allgemeinen Willens zu Spiel und Experiment. Die ever changing Madonna hat das zu spüren bekommen, und auch im Falle Michael Jacksons ließe sich spekulieren, ob die öffentliche Demontage nicht just zu dem Zeitpunkt einsetzte, an dem er sich als Vertreter eines luxurierenden Zeichen-Barock überlebt hatte.

Anders aber als beim Modell Madonna, das die Codes der in Kunst und Öffentlichkeit verhältnismäßig gut repräsentierten Schwulenkultur in den Mainstream übersetzte, trifft die Revision der Werte am Beispiel Jacksons den Vertreter einer sogenannten ethnischen Minderheit. Daß die HipHop-Kultur, die er immer wieder beerbt hat, seit Jahren bevorzugt toughe Typen hervorbringt, mag mit berechtigterweise nicht mehr zu versöhnenden Widersprüchen zwischen schwarzen und weißen Amerikanern zu tun haben – auf der Ebene des gesellschaftlich Möglichen signalisiert sie eine Rückbindung an die Ethnie, einen Verzicht auf die universalistische Qualität eines geschlechts- wie rasseneutralen Massenidols. Die Mestizengesellschaft ist auf dem Rückzug. Und das macht dann doch traurig. Es ist etwas zu Ende gegangen: Michael J. got married.

Ein bißchen dunkle Dramatik hat sich in der Verlagerung des Kräftefelds von Neverland nach Graceland allerdings erhalten. Zwei eigenartige Königskinder haben geheiratet, die eine die Tochter des größten Rock 'n' Rollers der Welt, der andere der emporgekommene und gefallene Sohn einer schwarzen Schaustellerfamilie; ein neues, geläutertes Leben wollen sie beginnen – das alles aber ausgerechnet im Zeichen einer Südstaatenvilla namens „Graceland“, in der der „King“ seine Frau Priscilla verfluchte, so impotent wie fett wurde und schließlich als Drogenmonster verstarb.

Das sieht dann doch mehr nach Gothic Novel aus als nach Seifenoper. Ist Gnadenland am Ende nur ein anderes Wort für Niemalsland? Ein berühmter Elvis-Forscher hat es in einen verwunschenen Satz gefaßt: „Man will nicht glauben, daß an diesem Ort überhaupt jemand gelebt hat.“

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