Von Nazis getrennt, jetzt wieder vereint: Wiedersehen nach 70 Jahren
1944 nahmen die Nazis einer italienischen Zwangsarbeiterin die Tochter weg. Jetzt trafen Mutter und Tochter sich das erste Mal wieder.
„Nie hätte ich zu hoffen gewagt, sie jemals in die Arme schließen zu dürfen. Jetzt bin ich überglücklich, dass es ihr gutgeht und wir uns kennenlernen können“, sagte die Tochter Margot Bachmann.
Das erstaunliche Wiedersehen kam dank der Hilfe des Internationalen Suchdienstes (ITS) im hessischen Bad Arolsen zustande. Dieses Archiv- und Dokumentationszentrum wurde 1955 gegründet, um die überlebenden NS-Opfer bei der Suche nach Verwandten zu helfen.
Das ITS verwaltet heute rund 50 Millionen Hinweise zu 17,5 Millionen Personen, darunter vor allem sogenannte Displaced Persons. Das waren etwa 10 Millionen nach Deutschland verschleppte Zwangsarbeiter, die sich nach der Befreiung in den Westzonen befanden.
„Ich wollte wissen, wer meine Mutter war“, zitiert der Suchdienst Margot Bachmann. Ihr Vater hatte daraus ein großes Geheimnis gemacht, und so wusste sie nur, dass es eine Italienerin sein musste. Nach dem Tod des Vaters wandte sich Bachmann an das Rote Kreuz, das sie an den ITS weiterleitete. Dort gingen allein 2013 noch 13.313 ähnliche Anfragen aus 70 Staaten ein. Mitarbeiter des Suchdienstes fanden tatsächlich Unterlagen über die Mutter und recherchierten ihre Adresse.
Das Kind kommt in ein Kinderheim
Die 1924 Geborene war von den Nazis als Zwangsarbeiterin in einem Rüstungsbetrieb nahe Heidelberg verschleppt worden und musste in einem Arbeitslager leben. Dort lernte sie 1943 einen deutschen Soldaten kennen. Margot kam im Oktober 1944 zur Welt. Nur einen Monat später entzogen die Nazis der Mutter die Vormundschaft und brachten das Baby in einem Kinderheim unter. Von dort holte sie der mit einer anderen Frau verheiratete Vater nach dem Krieg in seine Familie. Fragen nach ihrer leiblichen Mutter waren dort streng verboten.
„Es war eine außerordentlich intensive Begegnung“, sagte die ITS-Mitarbeiterin Friederike Scharlau zu dem Treffen von Mutter und Tochter, dem sie beiwohnte. „Eine große Runde mit Verwandten aus beiden Familien kam zusammen, und es wurden Fotos ausgetauscht.“ Die Mutter lebe noch in ihrer eigenen Wohnung und habe nach dem Krieg zwei weitere Kinder bekommen. Nur eine gemeinsame Sprache fanden Mutter und Tochter nicht, da musste ein Dolmetscher aushelfen.
„Heutzutage ist es außerordentlich selten, dass sich Eltern und Kinder wiederfinden, die durch das NS-Regime getrennt wurden“, sagte Scharlau. Die meisten seien inzwischen verstorben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“