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Von Herbstlaub und Frühjahsrtrieben

Das Bonner Bäumchen-Wechsle-Dich-Spiel treibt in der Bundeshauptstadt heftige Blüten: Waigel für Stoltenberg, Mölle- für Zimmermann, Geißler wegbefördert, oder wie oder was?  ■  Aus Bonn Ferdos Ferudastan

Man stelle sich vor: einen Baum. Oben die dichte Blätterkrone; zwei dicke Äste auf kräftigem Stamm. Mit diesem Bild könnte man die derzeitige Lage der Bonner Regierung zeichnen. Die anhaltenden Überlegungen zu Kabinettsumbildung und Kabinettssreform als Blätterwerk. Die sich herauskristallisierenden Leitlinien der Union als Äste, an denen alles hängt. Und schließlich die 1990 anstehenden Bundestagswahlen, von denen vieles abhängt als Stamm. Man gehe etwas näher an den Baum heran und betrachte zunächst das Blätterwerk.

Bundeskanzler Kohl hat verlauten lassen, er werde noch im April sachliche und personelle Beschlüsse fassen. Theo Waigel und Heiner Geißler sind die Namen, die nun in Bonn am häufigsten fallen. Der CSU-Vorsitzende Waigel wird nach einhelliger Meinung in der Gerüchteküche Finanzminister. An CDU-Generalsekretär Heiner Geißler vergeben die Spekulanten den Posten des Verteidigungsministers oder den des Chefs eines neu zu schaffenden Gesundheitsministeriums. Als Generalsekretär will ihn, wie gestern in Bonn bekannt wurde, Kohl nicht mehr.

Jürgen Möllemann, noch zuständig für die Bildung, handelt man als zukünftigen Innenminister. Friedrich Zimmermann wird wohl von der Bonner Politbühne abtreten - eher mehr als weniger freiwillig. Falls ein eigenständiges Gesundheitsministerium neu kreiiert würde, bedeutete dies einen Machtverlust für die derzeitige Ministerin für Familie, Jugend und Gesundheit, Ursula Lehr, und Sozialminister Blüm, der ebenfalls stark mit Fragen der Gesundheitspolitik befaßt ist.

Alternativ zu Geißler als Generalsekretär ist wohl Ursula Lehr für diesen neuen Posten vorgesehen - dem Ministerium würde dann überdies das ebenfalls neue Ressort „Alter“ angegliedert. Ein CDU-Fraktionsvorsitzender Norbert Blüm war gestern die letzte Vermutung ums das Bonner Personalkarussel.

Über den Namen des künftigen Sozialministers gab es nicht einmal Gerüchte. Was schon länger als ziemlich sicher gilt: Verteidigungsminister Rupert Scholz steigt von der Hardthöhe herab - eventuell ins Justizministerium. Als ehemaliger Berliner Justizsenator scheint er einigen CDU-Politikern dort besonders gelegen, nicht zuletzt auch, weil sie ihn als äußerst ungeliebten Verteidigungsminister auf diese Weise sehr elegant loswürden. Für Hans Engelhard, derzeit noch zuständig in Sachen Justiz, käme dies wohl nicht völlig überraschend: Er ist krank und wäre in absehbarer Zeit wohl sowieso gegangen. Und Geißlers Nachfolger? Diese, wohl mit die spannenste Frage zum Thema, beantworten die berühmten „gut informierten Kreise“ so: Es könnte der rheinland -pfälzische Kultusminister Gölter werden.

Hinter den Blättern die zwei dicken Äste. Der eine: Helmut Kohl. Er will die sogenannten Reformer in der CDU um Heiner Geißler schwächen. Der andere: Er möchte sich und seine Regierung von großen konservativen Leitfiguren aus der Krise führen lassen. Heiner Geißler ins Kabinett einzubinden bedeutet, ihn in vielen Fragen zum Schweigen bringen. In der Regierungsverantwortung, und außerdem nur noch mit wenigen Themen befaßt, könnte er sehr viel seltener und sehr viel weniger entscheidend Stellung beziehen. Zu den Leitfiguren: Gerhard Stoltenberg taugt dafür nicht mehr. Einst als Kanzlerkandidat im Gespräch, hat er sein Image nun völlig heruntergewirtschaftet. Von Kohl wurde er endgültig fallengelassen. Und Kohl scheint sich der Tragweite eines solchen möglichen Entschlusses klar zu sein. Waigel, so hofft Kohl, soll als fleißiges Bienchen die Blüte seiner Regierung befruchten.

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