Vom militanten zum zahmen AKW-Protest

Seit zwei Jahren wird das AKW Brokdorf regelmäßig blockiert / Das Bild der Blockaden und die Blockierer haben sich geändert / Gewaltfreier Protest ist die Maxime der engagierten Kirchengruppen / Blockaden mit Polizei abgesprochen  ■  Aus Brokdorf Dieter Hanisch

Knapp 250 AKW-GegnerInnen statteten am Sonnabend bei der zweijährigen Jubiläumsblockade dem Atomkraftwerk Brokdorf ihren Besuch ab. Einer, der ansonsten bestimmt dabeigewesen wäre, fehlte: Hans-Christoph Grasser. Er sitzt in der Justizvollzugsanstalt Neu-Münster noch bis zum 16.August seine Verurteilung von 15 Tagessätzen Geldstrafe ab und freut sich übrigens über Solidaritätspost. Sein Fall ist einer von insgesamt 119 Nötigungs-Strafverfahren, die die Staatsanwaltschaft bisher gegen BlockiererInnen von Brokdorf einleitete. Am Sonnabend kam kein weiteres dazu. Die polizeiliche Bilanz verzeichnete lediglich die Blutprobe eines bei sommerlichen Temperaturen angesäuselten AKW -Gegners. Bereitschaftspolizei aus Eutin innerhalb und außerhalb des Atommeilers langweilte sich genauso wie Staatsanwalt Dr.Peckert und Kreispräsident Rösler, die sich höchstpersönlich ein Bild von den vermeindlichen Chaoten und Gewalttätern machen wollten.

Die Blockaden begannen vor zwei Jahren als Reaktion auf das Tschernobyl-Unglück und zur Erinnerung an den Atombombenabwurf von Hiroshima. Als im Oktober des Jahres 1986 der Atommeiler in Brokdorf als erster auf der Welt nach dem Tschernobyl-Unglück dann noch ans Netz ging, lieferte der Betreiber Preußen-Elektra den AKW-GegnerInnen einen weiteren Grund zum Protest. Kontinuierlich an jedem Monatssechsten werden seither die beiden Tore des AKWs in der Wilster Marsch blockiert - „symbolisch“, wie Annette vom Blockadeplenum erklärt, „denn an die Verantwortlichen aus Politik und Industrie kommen wir ja gar nicht unmittelbar heran. So müssen wir uns mit unserem Protest an die AKW -MitarbeiterInnen halten, die mit ihrem Autos hier rein und rauswollen. Verstanden werden wir vom AkW-Betreiber aber offenbar doch, wenn auch als Ärgernis; warum denn sonst Massenverhaftungen, brutale Räumungen, Hundertschaften von Polizei und die ganzen Strafverfahren?“

Das Bild der Blockaden hat sich innerhalb der letzten zwei Jahre geändert, der TeilnehmerInnenkreis ebenfalls. In den ersten Monaten wurden konsequent beide AKW-Zufahrten bis zur polizeilichen Räumung versperrt. Hinzu kam, daß die AKW -GegnerInnen mal morgens um sechs Uhr zum Schichtwechsel, mal um 14 bzw. um 22 Uhr ihre Sitzblockaden durchführten, so daß sich Polizei und die AKW-Chefetage in Brokdorf nie darauf einstellen konnten. Erst als das AKW anfing, seine Schichten umzulegen, gab es erstmals sogar eine Blockade vom 5. auf den 6. des Monats - der Erfolg war einschlagend, wie eine kilometerlange Autoschlange vor beiden AKW-Toren zeigte. Als die Polizei bei ihren Räumungen 1987 die AKW -GegnerInnen mit brutaler Gewalt von den Toren abräumte, folgten zweimal in der Mitte des Monats zusätzlich sogenannte Protestblockaden.

Auch im vergangenen Monat gab es mit einer Überraschungs -Blockade am 14.Juli 1988 wieder eine neue Variante. Sie war gedacht für die vielen auswärtigen AKW-Beschäftigten, die während des derzeit laufenden Brennelemente-Wechsels in Brokdorf ihr Geld verdienen. Zwei Jahre lang laufen die Blockaden ohne Beteiligung von sogenannten „Promis“. Waren in der ersten Jahren immer noch Mitglieder von Anti-AKW -Initiativen vertreten, die ihren Blockade-Besuch vor dem AKW mit anderen Aktionen (Strommast-Besetzungen, Lösen von Schrauben an Strommasten, Bemalen des AKW-Zaunes usw.) kombinierten, beschränkt sich der Widerstand inzwischen fast ausschließlich auf den Sitzblockade-Protest. Dazu wird Straßenmusik gemacht, Schweigeminuten werden eingelegt oder auch Andachten abgehalten. Der Großteil des Blockade -Spektrums kommt aus kritischen und engagierten Kirchengruppen bzw. von TheologiestudentInnen, für die ein gewaltfreier Protest oberste Maxime ist. Wem das zu „peacig“ ist, der läßt sich inzwischen bei den Blockaden nicht mehr sehen. Die anfangs entschlossene Aktion hat inzwischen eher den Charakter einer Mahnwache angenommen. Mittlerweile - so auch am Sonnabend - gibt es feste Absprachen, wie lange welches Tor „besetzt“ wird. Dies wird den AKW-Beschäftigten und der Polizei mitgeteilt. Wenn diese ihre Uhren genau stellen und sich daran halten, gibt es keine Konflikte mit den BlockiererInnen. Am Sonnabend wollten Schichtarbeiter das AKW aus Tor 2 verlassen. Als die zuvor angekündigte und verabredete Blockadezeit abgelaufen war, gab es keine Konfrontation mit der Polizei.

Damit ist den jetzigen Blockadeaktionen im Vergleich zu den ersten Blockaden erhebliches an Schärfe genommen. Der Protest gegen das AKW Brokdorf ist also zahmer, wenn auch nicht leiser geworden. „Wir machen weiter“, kündigte Birgit vom Blockade-Plenum vor den Ohren der Polizei bereits die nächste Blockade am 6.September an.