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Vom Urknall in die Hölle

■ Europapokal der Landesmeister: VfB Stuttgart-Leeds United 3:0 (0:0)/ Nach schwacher erster Halbzeit rüttelten Wiggerl Kögl und Fritz Walter den schläfrigen deutschen Meister auf

Stuttgart (dpa/taz) — „Wir haben zu Hause schon öfter vier Tore gemacht“, suchte ein deprimierter Howard Wilkinson Trost in kühnen Träumen. Kurz zuvor hatte der Coach von Leeds United miterleben müssen, wie sein Team trotz überlegen geführter erster Halbzeit im Stuttgarter Neckarstadion gegen den VfB eine herbe 0:3-Schlappe erlitt. „Ich bin sehr enttäuscht. Wir haben jetzt schon so viele Fehler gemacht wie in der ganzen letzten Saison zusammen“, klagte Wilkinson. Eine Menge vergebener Torchancen und krasse Fehler in der Abwehr verhalfen den Stuttgartern zu einer hervorragenden Ausgangsposition für das Rückspiel in der ersten Runde des Landesmeistercups und erfüllten besonders Trainer Christoph Daum, dem die Pokal-Niederlage in Rostock am vergangenen Samstag noch in den Knochen steckte, mit tiefer Genugtuung. „Rostock war der Urknall. Jetzt haben wir uns endlich wieder von der kämpferischen Seite gezeigt“, gewann Daum dem Debakel an der Ostseeküste einen positiven Aspekt ab.

Seine vollmundigen Ankündigungen, man werde „einen ganz neuen VfB erleben“, erfüllten sich aber zunächst nicht. Von Daums Erkenntnis, „aus der Situation ist bei der Mannschaft Verantwortlichkeit gewachsen“, war lange nichts zu sehen. Leistungsträger der vergangenen Saison wie Maurizio Gaudino oder der wieder genesene Andreas Buck waren ebenso nur Mitläufer wie Neuzugang Thomas Strunz. Einzig die Linksachse mit Michael Frontzeck und dem überragenden Ludwig Kögl bemühte sich um einen konstruktiven Spielaufbau. Meist aber wählte der Bundesligist gegen die zweikampf- und kopfballstärkeren Briten mit hohen Flanken das denkbar ungünstigste Rezept für den in der ersten Halbzeit völlig in der Luft hängenden Torjäger Fritz Walter.

Da auch in der Abwehr Libero Slobodan Dubajic, der sich früh eine Platzwunde über dem linken Auge zuzog und dadurch sichtlich gehandicapt war, und Kapitän Guido Buchwald als Bewacher von Chapman enorme Probleme hatte, war es nicht verwunderlich, daß die von den Schotten Strachan und McAllister clever dirigierten Gäste in der ersten Halbzeit immer selbstbewußter wurden. Der recht indisponierte Millioneneinkauf Roecastle schoß völlig frei vor Torhüter Immel überhastet ans Außennetz, und danach bewahrte der VfB-Keeper seine Elf mehrmals vor einem Rückstand, vor allem bei einem raffinierten Schlenzer von Eric Cantona (27.) und einem gefährlichen Flachschuß von Gordon Strachan (32.). Dazwischen klärte der zurückgeeilte Walter bei einem Kopfball von Cantona auf der Linie.

Erst nach dem Seitenwechsel wachte der VfB auf, machte mehr Druck und wechselte seine Angriffs- Taktik. Endlich wurde schnell und flach gespielt. Folgerichtig stellten sich die ersten Chancen ein, und in der 62. Minute war Fritz Walter erstmals vor dem Leeds-Tor zu sehen. Nach einem klugen Paß von Kögl verwandelte er eiskalt zum 1:0. Die Gäste hatten sich von dem Schock noch nicht erholt, da schlug Walter fünf Minuten später erneut zu. Einen Schuß von Sverrisson konnte Lukic nur abklatschen, und der Torjäger staubte zum 2:0 ab. Gegen die nach der Halbzeit total einbrechenden Gäste, vor allem Strachan ging völlig unter, gelang in der 83. Minute sogar noch das 3:0. Glück hatten die Stuttgarter dann in der Schlußminute, als Gaudino einen Kopfball von Speed auf der Linie abwehrte.

„Ich glaube, wir haben heute ein Zeichen gesetzt, denn Leeds ist nicht ,Vorwärts Famagusta‘, sondern eine Klasse-Mannschaft. Das hat man heute in der ersten Hälfte gesehen“, freute sich Daum, während Manager Dieter Hoeneß den Part des Mahners übernahm und die in solchen Fällen obligatorische Prophezeiung von sich gab: „In Leeds erwartet uns die Hölle.“

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