: Vom Unglück, ein Bruder zu sein
Borussia Dortmund - 1. FC Nürnberg 4:0 / Armes Spiel der Braven gegen die Miserablen ■ Aus Dortmund Christoph Biermann
Er war in Dortmund angetreten, um das Image des rücksichtslosen Yuppies der Bundesliga mit dem Schweiß ehrlich erkämpften Fußballs abzuwischen. Michael Rummenigge ist das gelungen. Seinen Hinweis auf den sozialen Unterschied zwischen Schlossern und Fußballprofis hat er vergessen lassen. Die Fans in der Südkurve sehen in ihm längst den Paulus, der notwendigen Verstärkung der Borussenoffensive und nicht einen neureichen Saulus. So hat dann die Reise vom Münchener Nobelvorort zu den toten Schloten an der Ruhr fast ein gutes Ende gefunden. Schließlich war Michael Rummenigge auch am Samstag in einem armen Spiel einer braven gegen eine miserable Mannschaft der beste Spieler auf dem Platz.
Technisch versiert, elegant, engagiert, mit dem Blick für die Mitspieler, fürs Spiel... ja, nur nicht fürs Tor. Nicht einmal hat er bislang in der Bundesliga für Borussia getroffen. Den Grund dafür, so betont er immer wieder, hat er bislang noch nicht finden können. Dabei liegt er offen, man muß ihn wohl erkennen. Ein Besuch beim Training, das Ohr am Spielfeld, erklärt alles. „Hier, Kalle“, „Schieß, Kalle“, so rufen es ihm seine Mitspieler zu. Ein Spitzname, der es in sich hat. Trotz ausgewachsener 24 Jahre, mehr als 160 Bundesligaspielen und gar zwei Einsätzen in der Nationalmannschaft ist er doch immer wieder nur der kleine Bruder.
Der große Bruder, das ist der, den alle kennen. Kalle Rummenigge, an dessen rote Backen sich meine Mutter selbst heute noch erinnert, wo er 33jährig in der Schweizer Rentnerliga den Liberoposten bei Servette Genf betreut. Der bundesrepublikanische Sturmführer vieler Jahre, der für Bayern München in 304 Spielen mehr als halb so oft das Tor traf, bevor er sich nach Italien verabschiedete.
Michael Rummenigge bleibt der kleine Bruder. Wie damals schon im westfälischen Lippstadt im Rummeniggeschen Elternhaus. Was wissen wir darüber, wie er schon da gelitten hat. Und später in München und jetzt in Dortmund. Brutal wie die anderen Kinder nun einmal sind, nennen sie ihn immerfort Kalle. Deshalb kämpft und rackert er im Training und im Spiel, damit er sich endlich aus dem Bann befreien kann. Und Tore viele Tore sollen ihm dabei helfen.
Als Schiedsrichter Hans-Peter Dellwing in der 67. Minute des Spiels auf den Elfmeter-Punkt zeigte, hatte er vielleicht an Michael-Kalle gedacht. Ein Geschenk an den „kleinen Bruder“, der, wer weiß, der Schiedsrichter vielleicht selber ist. Schließlich hatte Michael-Kalle im Pokalspiel gegen Homburg vor zehn Tagen einen Elfmeter verwandelt. Aber schon drängelte sich Michael Zorc, der so lang verletzte Neukapitän, vor und schoß rein. Sein Mannschaftskamerad Rummenigge jubelte, aber war ihm da nicht wieder etwas klamm ums Herz? Armer Michael-Kalle!
Große Brüder haben andere Sorgen. Einer, der ein großer Bruder ist, ist Clubtrainer Hermann Gerland. Er zog, als sein Vater gestorben war, in der Rolle eines Ersatzvaters mit seiner Mutter die kleinen Geschwister auf. Große Brüder müssen immer die Verantwortung übernehmen. Nach der Niederlage seiner Mannschaft schummelte Gerland folglich nicht. „Wir haben im Moment einfach Scheiße an den Füßen.“ Was den 1. FC Nürnberg derzeit ziemlich anrüchig macht.
DORTMUND: De Beer - Pagelsdorf (68. Kroth) - Kutowski (81. Nikolic), Ruländer, Helmer - Breitzke, Zorc, Rummenigge, McLeod - Dickel, Mill
NÜRNBERG: Köpke - Kuhn - Dittwar, Heidenreich Philipkowski, H.J. Brunner, Schwabl, Schneider, Metschies, Wagner (68. Türr) - Sane
ZUSCHAUER: 22.015
TORE: 1:0 Dickel (30.), 2:0 Helmer (32.), 3:0 Dickel (44.), 4:0 Zorc (67./Foulelfmeter)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen